Die 18 wichtigsten Handhaltungen im Kung Fu

Kung Fu ist reich an Möglichkeiten, die Hände einzusetzen.
Welchen Teil der Hand sollte man am meisten fürchten? Die Handfläche, die Faust oder die Finger?
Die meisten würden wohl antworten, dass die Faust am stärksten ist, gefolgt von der flachen Hand und schließlich den Fingern.
In hochwertigem Kung Fu ist es jedoch genau andersrum. Warum das so ist, erfährst du in den folgenden Zeilen über die diversen Handhaltungen.
Während die meisten Kampfsportarten mit wenigen Handhaltungen auskommen müssen, oder wie im Boxen sogar nur einer, gibt es im Kung Fu eine Vielzahl an Handhaltungen, die dir in verschiedensten Situationen Vorteile verschaffen können.
Eine vollständige Kung Fu-Technik nennen wir auf Englisch „Pattern“, also sozusagen ein „Bewegungsmuster“. Manche sagen auch „Bild“, was mir aber zu statisch klingt. Schließlich ist der Weg in die Endposition entscheidend.
Eine Pattern besteht aus vielen Einzelteilen. Die Basis bildet immer der Stand. Ein weiteres Puzzleteil, das entscheidend zur Wirkung einer Anwendung beiträgt und auch dem „Spirit“ bzw. dem Tierstil der Technik Ausdruck verleiht, ist die Handhaltung. Obwohl es bei den fünf Tieren des Shaolin Kung Fu mehr um die inneren Qualitäten und die Art der Ausführung geht, so gibt die äußere Form zumindest einen Hinweis auf diese. Ebenso wie die Namen der Techniken, von denen du hier viele kennenlernen wirst.
Anmerkung: Viele Techniken habe ich auf Englisch angeführt, damit du sie leichter auf der Website meines Sifus, Großmeister Wong Kiew Kit, der mir bei der Recherche auch einige wertvolle Hinweise gegeben hat, finden kannst.
Die Faust
Die üblichste Handhaltung in allen Kampfdisziplinen, sowie im instinktiven Kampf, ist wohl die Faust.
Das Wichtigste ist, dass der Daumen außen an der Seite liegt.

Die Faust sollte kompakt, aber möglichst entspannt sein. Also weder schlapp, noch verkrampft.
Der Aufprall passiert mit jeweils dem ersten Fingerknochen von Zeige- und Mittelfinger.
Je nach Stil wird häufiger eine liegende Faust (Level Fist) oder eine vertikale Faust (Vertical Fist) verwendet. Generell sagt man, dass die liegende Faust extern ist, also von Muskelkraft abhängig.
Die aufrechte Faust kann internen Schaden beim Gegner bewirken, also Energie in den Gegner projizieren.

Darum hat sich in Wettkampfsportarten die liegende Faust eingebürgert, um den Schaden geringer zu halten. Mittlerweile wäre diese Unterscheidung wohl kaum mehr nötig, weil ohnehin sehr wenige Praktizierende innere Kraft entwickeln, mit der sie dem Gegner schaden könnten.
Die aufrechte Faust, auch Tassenfaust (Cup Fist) genannt, weil ihre Form einer Tasse ähnelt, findet sich besonders in inneren Kampfkünsten wie Tai Chi Chuan. Aber auch in (fälschlicherweise) als eher extern geltenden Stilen wie Shaolin Kung Fu und Wing Chun Kung Fu wird sie häufig eingesetzt.
In der Ausgangshaltung von Shaolin Kung Fu hält man beide Fäuste an der Hüfte in der Pose „Two Tigers at Ready“ (Zwei Tiger machen sich bereit).

Die erste Attacke, die du in unserem Shaolin Kung Fu erlernst, ist „Black Tiger Steals Heart“.

Du merkst, die Faust wird häufig dem Tiger-Spirit zugeschrieben. Sie wird aber auch bei einigen Drachentechniken verwendet.
Die Faust kann im Kung Fu sehr vielfältig eingesetzt werden. Als Gerade, als Haken, abwärts schlagende als „hängende“ Faust, schwingend und so weiter. Das verdient demnächst einen eigenen Blog-Eintrag.
Die höchste der drei ultimativen Künste ist „Marvellous Fist“, also die fabelhafte Faust, womit man den Gegner auch über 100 Schritte Entfernung verletzen kann. Eine Kunst, die viele Jahrzehnte an Praxis benötigt. Kein Wunder, dass sie so selten zu finden ist.
Im Qi Gong kommt die Faust zum Beispiel bei „Schlagen mit großen Augen“ aus den 18 Lohan Händen zum Einsatz und bei „Vater und Sohn zusammen“ aus den 18 Lohan Künsten.
Die Drachenhand
Die vielleicht simpelste Handhaltung, aber zugleich auch eine der kraftvollsten, ist die Drachenhand (Dragon Palm).
Die Finger sind alle voneinander entfernt und fast gerade.

Es gibt im Kung Fu einige spezifische Fähigkeiten, die die offene Hand verwenden. Das zeigt, wie wichtig sie ist. Iron Palm, Cosmos Palm (auch Red Sand Palm) und Cotton Palm nutzen allesamt diese Handhaltung.
Am häufigsten wird sie in Drachentechniken eingesetzt, wie dem im Tai Chi Chuan prominenten „Green Dragon Shoots Pearl“ (Der grüne Drache wirft eine Perle)

oder „Dark Dragon Draws Water“ (Der dunkle Drache zieht Wasser), der ersten internen Angriffstechnik in unserem Lehrplan für Shaolin Kung Fu.

Der Aufprall geschieht hauptsächlich mit der Handfläche. Im Idealfall wird Energie aus dem Lao Gong-Dantian, dem Energiefeld in der Mitte der Handfläche, in den Gegner entladen.
Hohe Fähigkeiten sind „Strike Across Space Palm“ (durch den Raum schlagende Hand), also, dass Energie auch ohne Kontakt in den Gegner geschickt wird. Ebenso „Striking through a Buffalo“, wobei das Qi durch ein Objekt oder jemand anders hindurch auf den Gegner gefeuert wird.
Im Qi Gong ist die Drachenhand, wenn auch oft unbewusst, allgegenwärtig. Beginnend beim Wu Ji-Stand, der Grundstellung, bei der die offenen Hände mit geraden Fingern neben dem Körper hinabhängen. Beim „Berge schieben“ ist die flache Hand offensichtlich, trägt die Übung ja auch maßgeblich zur Cosmos Palm bei.
Im Shaolin Kung Fu gibt es übrigens auch ein „Berge schieben“, nämlich als wilder Tiger in „Fierce Tiger Pushes Mountain“, bei dem man jemanden im Bogenstand wegstößt. Im Tai Chi Chuan sagen wir dazu „Open the Window to Look at the Moon“ (Das Fenster öffnen, um den Mond anzusehen), als würden die offenen Hände die Fensterläden aufstoßen.

Auch beim Übertragen von Energie zu therapeutischen Zwecken ist die flache Hand bestens geeignet.
Die Tigerklaue
Tigertechniken wirken oft beeindruckend. Der wilde und animalische Einsatz der Tigerklaue trägt natürlich sehr dazu bei.
Ein häufiger Irrglaube ist, dass die Krallen dabei zum Kratzen des Gegners verwendet werden. In alten Kung Fu-Filmen sieht man häufig, wie das Blut aus den Kratzspuren an Gesicht oder Oberkörper nur so herausströmt.
Eigentlich gibt es drei Funktionen für die Tigerklaue:
- Gelenke immobilisieren
- Muskeln, Sehnen und Fleisch herausreißen
- Chin-Na, also spezielle Griff- und Hebeltechniken
Dagegen wirkt kratzen wie Kinderkram.
Bei der Tigerklaue wird der Daumen abgewinkelt und die anderen vier Finger werden, getrennt voneinander, leicht angekrallt. Beim Zupacken werden dann alle Finger fest zusammengezogen.

Die erste Abwehrtechnik in unserem Shaolin Kung Fu-Training ist „Single Tiger Emerges from Cave“ (Der einzelne Tiger tritt aus der Höhle hervor). Bei dieser relativ weichen Abwehr, leiten wir den gegnerischen Arm durch Herablehnen sanft aus der Bahn. Die Kralle bleibt dabei offen, aber die Handhaltung hilft dabei, die innere Kraft im Unterarm zu bündeln.

Häufig werden gleich beide Hände als Tigerklauen verwendet, wie in „Hungry Tiger Snatches Goat“ (Der hungrige Tiger reißt eine Ziege). Wichtiger Leitfaden dabei: „Double Tiger Claws, lean forward“ (Bei doppelten Tigerklauen, lehne dich vor)

Andere typische Tiger-Patterns sind „Black Tiger Presents Claw“ (Der schwarze Tiger zeigt seine Krallen)

und „Lead Horse Back to Stable“ (Das Pferd zurück in den Stall führen).

Bekannte äußere Trainingsmethoden sind Tiger-Liegestütz, also auf den Fingerspitzen ausgeführt, das Halten und Tragen von großen Gläsern, die man mit immer mehr Gewicht befüllt und indem man die Finger in ein mit Bohnen gefülltes Behältnis sticht.
In Shaolin Wahnam nutzen wir lieber innere Methoden, die weniger riskant und schlussendlich auch kraftvoller sind. Dazu sind unser alltägliches „One Finger Shooting Zen“, das „Iron Wire Set“ und vor allem „Fierce Tiger Cleanses Claws“ (Der wilde Tiger reinigt seine Klauen) geeignet.
Mit einem gekonnten Griff kann ein Meister/eine Meisterin zum Beispiel den Arm eines Gegners lahmlegen, indem er/sie die Energiepunkte daran schließt. Das erfordert Einiges an Geschick und Taktik... und natürlich reichlich Energie, die man in den Gegner schicken kann.
Öffnest du die Finger noch etwas mehr, kannst du mit dem Handballen deiner „Tiger-Claw Palm“ zuschlagen.

Die Leopardenfaust
Bei dieser Handhaltung, die auch als Ingwerfaust bekannt ist, wird die Faust nicht ganz geschlossen, sondern das erste Fingerglied bleibt plan mit dem Handrücken. Diese Handhaltung ist besonders ratsam, wenn man lange Fingernägel hat, die sich beim Aufprall einer normalen Faust in die eigene Hand bohren würden.
Du bildest sie, indem du alle Finger abwinkelst und dabei das erste Fingerglied plan mit dem Handrücken lässt.

Die Leopardenfaust ist sehr hilfreich im Kampf gegen stärkere Gegner, weshalb sie im Choe Family Wing Chun, dem Stil, der auch in Shaolin Wahnam praktiziert wird, verwendet wird.
Sie wird in vielen Leopardentechniken eingesetzt und zielt zumeist auf Hals, Schläfen, Solar-Plexus die Wirbelsäule oder die Rippen, wie in „Golden Leopard Watches Fire“.

Die Leopardenfaust gibt uns den Hinweis, dass die Technik mit der Essenz des Leoparden ausgeführt werden sollte, also mit großer Geschwindigkeit.
Die Weidenblatthand
Bei der „Willow-Leaf Palm“ ist der Daumen abgewinkelt und die anderen Finger liegen eng aneinander. Die Finger sind gerade gestreckt. Das sieht so ähnlich aus wie Blätter, die von einer Weide hängen.

Häufig wird die Weidenblatthand zum „Hacken“ (Chop) und „Fegen“ (Sweep) eingesetzt, wobei die äußere Handkante, also zwischen Handgelenk und Fingern, aufprallt.
Typische Techniken dafür sind „Chop the Hua Mountain“ (Den Hua-Berg spalten)

bzw. „False-Leg Hand Sweep“ (Handfeger im Falsch-Bein-Stand)

und „Sweep a Thousand Armies“ (Tausend Armeen hinwegfegen).

Aber auch in geraden Schlägen mit der Handkante, wie in „Fierce Dragon Across Stream“ (Wilder Drache durch den Fluss) kommt die Weidenblatthand zum Einsatz.

Eine seltenere Art der Attacke ist das „Schneiden“ (Slice). Hierbei wird mit den Fingerspitzen nach oben geschnitten, zum Beispiel den Brustkorb entlang hoch zum Hals wie in „White Snake Crosses Valley“ (Die weiße Schlange durchquert das Tal).

Die Schlangenhand
Ausgehend von der Weidenblatthand werden die Fingerspitzen sanft nach unten gewölbt. Die Finger dürfen keineswegs nach oben gebogen sein.

Allgemein stehen die Chance hoch, sich mit dieser Handhaltung die Finger zu verletzen, wenn man keine innere Kraft hat.
Beim Vorwärtsstechen der Schlangenhand sind die üblichen Ziele Vitalpunkte, also Augen, Hals, Solar-Plexus und Energiepunkte.
Die Handfläche kann dabei nach unten schauen, z.B. „Poisonous Snake Shoots Venom“ (Die Giftschlange spritzt Gift bzw. im Tai Chi Chuan „White Snake Shoots Venom“),

nach oben, wie in „Dark Dragon Enters Well“ (Der dunkle Drache betritt die Quelle),

oder auch zur Seite wie in „Poisonous Snake Enters Hole“ (Die Giftschlange schlüpft ins Loch).

Die Handhaltung findet man dbesonders im Schlangenstil des Shaolin Kung Fu und im Tai Chi Chuan.
Ein Finger Zen Handform
Erinnerst du dich an meine Frage zu Beginn dieses Artikels?
Die „Ein Finger Zen Handform“ ist die stärkste unserer Handhaltungen und ihr ist mit „One Finger Shooting Zen“ einer unserer größten Schätze gewidmet.
Mit „stark“ ist damit nicht das Stechen ins Auge gemeint. Vielmehr ist diese Handhaltung ideal, um innere Kraft konzentriert durch den Zeigefinger in den Gegner zu projizieren und mit der oft als ausgestorben geltenden Kunst „Dim Mak“ Energiepunkte zu schließen.
Auf meisterlichem Niveau ist dafür auch kein Kontakt mehr nötig, sondern die Energie kann über bis zu 36 Schritte übertragen werden.
Von der Leopardenfaust aus wird der Zeigefinger gestreckt, um ebenfalls auf einer Ebene mit dem Handrücken zu sein. Die Fingerspitzen können dabei die Handfläche berühren oder nicht. Der Daumen ist jedenfalls gewinkelt.

Auch in der kraftvollsten Zhan Zhuang-Pose, der „goldenen Brücke“, kommt die „Ein Finger Zen Handhaltung“ zum Einsatz.

Ebenso in den kraftvollen Trainingsmethoden für innere Kraft „Double Stabilizing of Golden Bridge“ (Doppeltes Stabilisieren der goldenen Brücke) im Taming-Tiger Set

oder unserer Begrüßungssequenz „Triple Stretching of Pearl Bridge“.

Auch in „One Finger Stabilizing Empire“ (Ein Finger stabilisiert das Kaiserreich), die letzte Technik in all unseren Sets bis Level 6 im Shaolin Kung Fu, setzen wir – wie der Name schon sagt – die Ein-Finger-Haltung ein.

Aber wir werten „Ein Finger Zen“ nicht nur als die vielleicht wichtigste Kunst unserer Schule, weil man damit auf meisterlichem Niveau durch sanfte Berührung den Gegner kampfunfähig machen kann, sondern auch, weil sein Training sehr viel Lebenskraft entwickelt und die Handhaltung auch zur positiven Übertragung von Qi als Behandlung verwendet werden kann (wenn man gelernt hat, wie man das macht!).
Die Drachenhandform
Diese, auch „Two Finger Zen“ genannte, Handhaltung findet sich häufig in unserem südlichen Shaolin Kung Fu.
Hierbei sind der Zeigefinger und der Mittelfinger relativ gerade, aber nicht ganz durchgestreckt. Die beiden Finger ähneln so den Barthaaren eines Drachens, was der Grund für den Namen der Handhaltung ist.
Der Ringfinger ist mehr gebeugt und der kleine Finger am meisten. Alle Finger sind voneinander getrennt. Wie fast immer, ist der Daumen abgewinkelt, was übrigens dabei hilft, die Energie besser in der Hand zu fokussieren.

Egal, ob liegend oder aufrecht eingesetzt, kann man mit den Fingern in die Augen stechen. Wichtiger ist aber auch hierbei das Attackieren von Energiepunkten.
Die Drachenhandform kommt bereits bei einer der 8 Shaolin Kung Fu Basistechniken zum Einsatz, dem „Golden Dragon Plays with Water“ (Der goldene Drache spielt mit dem Wasser). Hierbei nutzen wir die Finger noch nicht zur Attacke, sondern „fädeln“ uns ein, um den gegnerischen Arm abzuleiten.

Weitere schöne Techniken mit der Drachenhandform sind „Swimming Dragon Plays with Water“ (Der schwimmende Drache spielt mit dem Wasser)

und einer unserer ersten Kicks „Yellow Bird Plays with Water“ (Der gelbe Vogel spielt mit dem Wasser).

Die drei angeführten Techniken sind ein gutes Beispiel dafür, welche Hinweise in den Namen von Kung Fu-Patterns enthalten sind. Auch, wenn die Techniken sehr unterschiedlich aussehen, haben sie alle die Handhaltung und die einfädelnde Bewegung gemein und „spielen mit dem Wasser“.
Im Training der inneren Kraft wird die „Dragon Hand Form“, so wie bei „One Finger Shooting Zen“ im „Shaolin Flower Set“ und „Shaolin Triple Stretch Set“ dreimal nach vorne gestreckt, um in den Fingern sehr viel Energie zu verdichten.

In „Dragon-Tiger“ und „Dragon-Strength“ sogar beidhändig mit „Double Dragon Emerges from Sea“.

Schwertfinger
Bei den Schwertfingern sind Zeige- und Mittelfinger gerade und beieinander. Ringfinger und kleiner Finger bilden mit dem aufgelegten Daumen einen Kreis.

Wie du dir mittlerweile wahrscheinlich denken kannst, wird auch bei dieser Handhaltung die Energie in den Fingern konzentriert. Dabei gelten die Schwertfinger als „härter“ als die Drachenhandform, welche wiederum härter ist als „Ein Finger Zen“.
Am häufigsten verwenden wir die Schwertfinger bei der Waffenpraxis mit dem Schwert. Dort dafür so gut wie durchgängig mit der waffenlosen Hand.

Ansonsten ist „Two Saints Transmit Tao“ im Wudang Taijiquan eine typische Technik, die sich dieser Handhaltung bedient, wobei die „zwei Heiligen“ im Namen der Technik auf die zwei gestreckten Finger hinweisen.

Im „Qi Gong Healing“ sind die Schwertfinger ebenfalls sehr effektiv. Mein Sifu verwendet sie dabei sogar lieber als „Ein Finger Zen“, worin er ein herausragender Meister ist.
Die Auge-des-Phönix-Faust
Bei dieser besonderen Art der Faust wird der Zeigefinger wie ein Dreieck vorgeschoben. Der Daumen kann entweder abgewinkelt an seiner üblichen Faustposition sein oder für zusätzliche Stabilität des Zeigefingers obenauf liegen.

Die „Phoenix-Eye Fist“ wir zum Schlagen auf Energiepunkte und Solar-Plexus verwendet.
Abgesehen vom „Phoenix-Eye Kung Fu“ ist diese Handhaltung eher selten. Aber auch im „Flower Set“ und im „Dragon Strength Set“ kommt sie vor in „Dark Phoenix Looks at Sun“ (Der dunkle Phönix schaut zur Sonne).

Ebenso in der Kranichtechnik „Crane Drinks Besides Stream“ (Der Kranich trinkt am Rande des Baches).

Im Choe Family Wing Chun wird sie auch gerne verwendet, während sie im populären Wing Chun überraschenderweise nicht zu finden ist.
Die Elefantenfaust
Die „Elephant Fist“ ist ähnlich wie die „Phoenix-Eye Fist“, hierbei ragt jedoch der Mittelfinger wie ein Rüssel aus der Faust heraus.

Ein anderer Name für diese spezielle Art der Faust ist „Big Boss Fist“ und manchmal wird sie auch Drachenfaust genannt.
Auch die Elefantenfaust ist sehr kraftvoll und konzentriert die ganze Wucht des Schlages auf einen Punkt, wobei sie als extern gilt, also mit Muskelkraft eingesetzt wird.
In Shaolin Wahnam setzen wir diese Handhaltung, meines Wissens, nicht ein.
Die Adlerklaue
Bei der Adlerklaue liegen alle Finger eng beieinander und bilden mit dem relativ geraden Daumen eine Greifhand, wobei das erste Fingerglied im offenen Zustand relativ plan mit dem Handrücken ist. Das ähnelt der Klaue eines Adlers, der auf einem Ast sitzt. Natürlich schließt sich die Hand beim Zupacken.

Anders als bei der Tigerklaue, bei der sich fünf einzelne Punkte in den Gegner bohren, dient die Adlerklaue ähnlich einer Schraubzwinge dem Blockieren von Gelenken. Im „Eagle Claw Kung Fu“ wird sie häufig eingesetzt, um mit einer Hand festzuhalten und mit der anderen einen entscheidenden Schlag zu landen.

Mit „Old Eagle Catches Snake“ (Der alte Adler fängt eine Schlange) haben wir einen sehr effektiven beidhändigen Griff im Tai Chi Chuan, sowie in den 36 spezifischen Techniken des Shaolin Kung Fu.

Eine traditionelle, externe Trainingsmethode für die Adlerklaue ist, Rinde von einem Baum zu reißen. Abgesehen davon, dass das für den Baum nicht gut ist, ziehen wir in Shaolin Wahnam interne Methoden vor. So sind zum Beispiel „Golden Leopard Trains Claws“ und „Hungry Tiger Charges at Prey“ aus den 18 Lohan Künsten sehr gute Qi Gong-Übungen für einen festen Griff.
Andere Stile bilden die Adlerklaue nur mit drei Fingern, nämlich Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Eine gute Erinnerung daran, dass Begriffe im Kung Fu keine absoluten wissenschaftlichen Bezeichnungen sind, sondern der bequemen Verständigung, besonders innerhalb einer Schule, dienen.
Die Drachenklaue
Die Drachenklaue ist offener als die Tigerklaue und ähnelt den Händen von Drachenstatuen, die eine Perle umfassen. Alle Finger sind rundlich gebeugt und stehen im Abstand zueinander. Der Daumen ist nur leicht eingehakt.

Die „Dragon Claw“ dient zum festen Packen und der Legende nach dem Abtrennen von Gliedmaßen. (Siehe auch die Legende wie Hui Ke das Knochenmark von Bodhidharma empfing)
Wird man vorgebeugt in den Schwitzkasten gepackt, kann man mit der Drachenklaue auch alle „drei“ Augen attackieren.
Im Shaolin Qi Gong verwenden wir diese Handhaltung in „der grüne Drache präsentiert seine Klauen“ aus den 18 Lohan Händen. Eine wunderbare Übung, die für so ziemlich alles gut ist.

Die Krabbenzange
Die „Crab Pincers“ sind eher exotisch, können aber kräftig zukneifen.
Mit „Second Auntie Catches Crab“ zum Beispiel in die Seite unter den Rippen oder mit dem Daumen in die Achsel.

Die Krabbenzange ist ähnlich der Adlerklaue, nur, dass die Finger enger zusammengezogen sind.

Manchmal werden nur Zeigefinger und Daumen verwendet, um den Hals zu greifen bzw. den Kehlkopf zu quetschen.
Der Kranichschnabel
Für die „Hakenhand“, die dem Schnabel eines Kranichs ähnelt, werden alle fünf Fingerspitzen zusammengebracht. Die Finger sind leicht gekrümmt.
Häufig ist das Handgelenk so weit wie möglich abgewinkelt, was den Haken bildet, mit dem man sich beim gegnerischen Arm einhaken kann, um ihn zu fixieren.

In der „Single Whip“ (Einfache Peitsche), die schon früh im Tai Chi Chuan gelehrt wird, dient die Hakenhand, um den Energiefluss in der einen Hand abzuriegeln und so in der Schlaghand zu fokussieren. Hier die „Low Stance“-Version.

Eine sehr gefährliche und effektive Technik aus dem südlichen Shaolin Kung Fu, bei der die Hand als Schnabel eingesetzt wird, ist „Satisfied Reincarnated Crane“ (Zufriedener wiedergeborener Kranich).

Mein Sigung, Großmeister Ho Fatt Nam, verriet Sifu eines Tages ein kaum bekanntes Detail. Anders als viele denken, wird der Kranichschnabel nicht zum „Picken“ verwendet. Stattdessen sind die Finger vor dem Kontakt mit dem Auge noch geöffnet und schließen sich erst nach dem Eintritt in die Augenhöhle, wonach die Hand ruckartig zurückgezogen wird. Das Ergebnis davon kannst du dir selbst ausmalen und funktioniert auch bei den Hoden oder dem Adamsapfel.
Kung Fu verfügt über einige sehr drastische Methoden. Als Shaolin-Praktizierende würden wir nie zu so barbarischen Mitteln greifen, aber besonders in den alten Zeiten, musste man darüber Bescheid wissen, um dafür gewappnet zu sein, falls man einem weniger edelmütigen Gegner gegenüberstand.
Die „Ministerhand“, also die zweite Hand, hakt sich in der besagten Technik am gegnerischen Arm ein, wodurch auch der Effekt als Hakenhand umgesetzt wird.
Der Gottesanbeterinhaken
Der Daumen liegt an der Seite des mittleren Glieds des geraden Zeigefingers. Die anderen Finger sind zum kleinen Finger hin zunehmend gebeugt. Alle liegen eng beieinander.

Das „Praying Mantis Kung Fu“ ist ein relativ populärer Shaolin-Stil, der für Schnelligkeit und Agilität steht.
Der „Mantis Hook“ ist sehr prominent darin vertreten und wird zum Einhaken am Arm, Bein oder auch Genick des Gegners verwendet. Auch zum Schlagen mit dem Knöchel am Fingerwurzelgelenk des Zeigefingers ist die „Mantis Hand“, wie sie auch genannt wird, gefürchtet.
Der gerade Zeigefinger kann außerdem zum konzentrierten Schlagen auf Energiepunkte eingesetzt werden.

Die Affenpfote
Zumindest was das Aussehen der Handhaltung betrifft, ist der Affe im Kung Fu eng mit der Gottesanbeterin verwandt.
Auch wenn es um die Qualitäten Schnelligkeit und Agilität geht, stehen sich die beiden Tierstile in nichts nach.
Dennoch sehen die beiden Stile sehr unterschiedlich aus und der Affe ist viel trickreicher und hinterlistiger.
Die Handhaltung ist dem Haken der Gottesanbeterin sehr ähnlich, nur, dass der Zeigefinger bei der Affenpfote leicht gekrümmt und nahe bei den anderen Fingern ist, anstatt gerade hervorzustehen.

Die Affenpfote ist sehr vielseitig und wird sowohl zum Schlagen, Greifen und Einhaken verwendet.

Ohne innere Kraft ist sie jedoch fürs Zuschlagen relativ nutzlos. Innere Kraft ist aber ohnehin eine wichtige Voraussetzung für den effektiven Einsatz des Affenstils, der es auch kleineren und schwächeren Gegnern ermöglicht gegen stärkere zu bestehen.
Die betrunkene Faust
Lösen sich Daumen und Zeigefinger aus der Affenpfote voneinander und bilden einen rundlichen Hohlraum, ist darin Platz für ein Gläschen, in das wohl so mancher Kung Fu-Meister zu tief hineingeschaut hat.

Das „Drunken Kung Fu“ ist bei Zusehern sehr beliebt, weil es im modernen Wushu oft mit akrobatischen Einlagen und torkelnden Schritten gespickt ist. Die beeindruckende Performance sollte aber nie das hauptsächliche Ziel im Kung Fu sein.
In unserem „Drunken Eight Immortals Set“ finden sich 108 sehr spezielle Techniken, die für besondere Situationen im Kampf Möglichkeiten und Auswege bieten. Nicht selten verlässt man dabei die übliche Standardform, während man sich des daraus entstehenden Risikos bewusst sein sollte.
Die „Drunken Fist“ wird in einer meiner Lieblingstechniken, „Lift Cup to Heaven“ (Die Tasse zum Himmel heben), eingesetzt, wobei der Knöchel am Ansatz des Zeigefingers zum Beispiel gegen die Schläfe geschmettert wird.

Du siehst, Kung Fu ist sehr reich an ausgeklügelten Arten, deine Hand auf verschiedenste Weise einzusetzen.
Und damit lassen sich unzählige „Patterns“ für jedwede Situation und jeglichen Zweck zusammenbauen.
Eine gute Methode, um dir zumindest die wichtigsten Handhaltungen gut einzuprägen, ist diese besonders am Anfang deines Trainings in schneller Abwechslung zu üben.
Faust, Tigerklaue, Schlangenhand, Faust, Ein Finger Zen, Drachenhand, …
Das kann man auch wunderbar zwischendurch und unterwegs üben. Wundere dich nur nicht über verwunderte Blicke von Beobachtern. :D

Autor: Sifu Leonard Lackinger
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