Von Wu Ji zu Tai Ji, von Tai Ji zu Wu Ji
Die spirituelle Tiefe der Shaolin-Künste - Teil 2

Diese Technik ist als „Return Qi to Dan Tian“ bekannt.
Zu Beginn eines Taijiquan-Sets wird sie auch „Two Aspects of Yin-Yang“ genannt.
Zum Abschluss auch „Cosmos Returns to One“.
Was hinter diesen Benennungen steckt, erfährst du im folgenden Artikel.
Falls du es noch nicht getan hast oder wann immer dir etwas noch unklar ist,
empfehle ich dir, diese Serie von Beginn an zu lesen.
Wenn du dir ein Tai Ji- oder Kung Fu-Set (auch Form oder Abfolge vieler Techniken) ansiehst, wird dir vielleicht auffallen, dass der oder die Praktizierende am Ende am gleichen Ort ankommt, von dem er bzw. sie gestartet ist.
Diese Tradition geht auf den Ausspruch „Von Wu Ji zu Tai Ji, von Tai Ji zu Wu Ji“ zurück. Doch, was bedeutet das?
Wu Ji
Wörtlich könnte „Wu Ji“ mit „ohne Ende“ übersetzt werden. Im Englischen verwendet Großmeister Wong dafür gerne „No Ultimate“.
Sinngemäß ist aber vielmehr „Grenzenlose Leere“ gemeint. (Englisch: „Limitless Void“ oder auch „Extreme Void“)
Das wiederum wird von verschiedenen Leuten aus unterschiedlichen Kulturen als „kosmische Wirklichkeit“, „Gott, der Heilige Geist“, „der spirituelle Körper des Buddha (dharmakāya, Zhen Ru, Tathagata, Zen)“ oder „Zerfall subatomarer Partikel zu undifferenzierter Energieverteilung“ bezeichnet.
- Großmeister Wong Kiew Kit
Somit meint „Wu Ji“ also – egal welchen Glauben du hast – die höchste Instanz, den Ursprung oder Quell, von dem du und alles um dich herum entsprungen ist.
Die Einheit mit allem, das ist, war und je sein wird.
Ohne Form. Ohne Abgrenzung. Ohne Gedanken.
Tai Ji (Tai Chi)
Wörtlich könnte man „Tai Ji“ in das „Große Ultimative“ übertragen. (Englisch: „Grand Ultimate“)
Sinngemäß ist der Kosmos bzw. das Universum gemeint, in dem wir uns befinden.
Im Buddhismus spricht man von „Samsara“, welches vom Zyklus der Wiedergeburten und von Dualität geprägt ist.

Dies spiegelt sich auch im „Tai Ji“-Symbol wider,
welches sich in Yin und Yang teilt.
Wenn du diese Zeilen liest, befindest du dich noch in der „Welt der Erscheinungen“. Deine Sinnesorgane und deine Gedanken, lassen dich diese Welt so erleben, als ob es abgegrenzte Wesen und Objekte gäbe. Als ob du nicht Teil des Ganzen wärst.
Solange wir uns in Samsara aufhalten, sind die Menschen um dich herum und du selbst natürlich „echt“. Vom Blickwinkel der „kosmischen Wirklichkeit“ (Wu Ji) aus, sind dies aber nur Illusionen, leere Erscheinungen.
Die „kosmische Wirklichkeit“ und die „Welt der Erscheinungen“ sind nicht zwei unterschiedliche Orte, sondern zwei Aspekte derselben Realität.
Eigentlich sind wir immer mit allem vereint, wir merken es nur nicht. Eine Energie geht nahtlos in die andere über.
Wie es das Christentum ausdrücken würde: „Gott ist immanent und omnipräsent.“, also überall und alles durchdringend.
Auch in der heutigen Physik ist alles miteinander verbunden. Wir denken, die Luft zwischen uns ist leer, und doch besteht sie aus unzähligen Teilchen und Molekülen. Alles ist von Funkwellen, Magnetfeldern und Strahlungen durchdrungen.
Nicola Tesla hat es so ausgedrückt: „Wenn du das Universum verstehen willst, dann denke in Begriffen wie Energie, Frequenzen und Schwingung.“
Taijiquan oder „Kosmos Kung Fu“
„Tai Ji Quan“ (Tai Chi Chuan) bedeutet wörtlich „Großes Ultimatives Faust“.
Gemeint ist aber vielmehr „Kosmos Kung Fu“ und weist schon auf den ursprünglichen Zweck der Kampfkunst hin, Einswerden mit der Natur und die spirituelle Kultivierung bis hin zur Unsterblichkeit.

Der Wu Ji-Stand
Der Wu Ji-Stand ist die Ausgangsstellung, mit der wir unsere Praxis beginnen, egal, ob im Tai Chi Chuan (Taijiquan), Qi Gong oder Shaolin Kung Fu.
Bei vielen Qi Gong-Übungen bleiben wir die ganze Zeit in diesem Stand.
Auch die Standmeditation, die jede unserer Übungseinheiten abschließt, findet in Wu Ji statt.

Anmerkung: Viele Schulen stehen hüft- oder schulterbreit mit den Füßen auseinander. Das ist deren Wahl. In Shaolin Wahnam stehen wir recht nahe beieinander. Denn, je näher die Füße stehen, desto besser fließt die Energie, wie sich herausgestellt und vielfach bewährt hat.
Das ist der technische Teil, der körperliche Aspekt. Aber das ist – wie eigentlich immer in der hochwertigen Ausübung der Shaolin-Künste – noch nicht alles, was diesen Stand ausmacht.
In „Wu Ji“ zu stehen, bedeutet auch entspannt zu sein. Körperlich, geistig, emotional und spirituell.
Lasse alle unnötige Anspannung los. Auch wenn manche Muskeln „verwendet“ werden, sie arbeiten gerade so viel, damit du in der Haltung stehen bleibst und der Körper nicht zusammensackt.
Wirf alle unnötigen Gedanken raus. Wenn sie wiederkommen, ärgere dich nicht, interpretiere nicht. Sobald du merkst, dass Gedanken auftreten, wirf sie wieder raus und lass sie wieder abziehen.
Lächle aus dem Herz heraus. Sobald du dein inneres Lächeln aktivierst, werden alle anderen Emotionen Platz machen müssen.
Dadurch öffnet sich dein Herz, und mit ihm deine Seele.
So, jetzt stehst du in „Wu Ji“. Nun kann es losgehen.
Auch wenn ich diese Anleitungen viele Tausend Male ausgesprochen habe und es liebend gern noch viele weitere Millionen Male tue, eigentlich genügen zwei Worte, die alles zusammenfassen: „Wu Ji!“
Von Wu Ji zu Tai Ji, von Tai Ji zu Wu Ji
Sobald wir bereit, also auf allen Ebenen entspannt und in die „Leere“ eingetreten sind, gehen wir „von Wu Ji zu Tai Ji“ über und führen unsere Techniken aus, sei es im Taijiquan, Shaolin Kung Fu oder Qi Gong. Wir trainieren unseren Körper, unsere Energie und unseren Geist, über die wir ja im hiesigen Aspekt der Realität verfügen.
Am Ende des Sets oder der Übung kehren wir „von Tai Ji zu Wu Ji“ zurück.

Zurück zum Ursprung.
Sowohl zum Ausgangspunkt unserer Übungseinheit und im besten Fall zurück zu unserem wahren Sein.
Die Serie „Die spirituelle Tiefe der Shaolin-Künste“
Hier geht's zu
- Teil 1 - 84.000 Türen zur Erleuchtung
- Teil 2 - Von Wu Ji zu Tai Ji, von Tai Ji zu Wu Ji
- Teil 3 - Der Shaolin-Weg zum Nirvana
- Teil 4 - 11 Gründe, warum dir das Shaolin-Training auf deinem spirituellen Weg helfen kann
- Teil 5 - Das Karma des Kämpfens

Autor: Sifu Leonard Lackinger
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