Das Karma des Kämpfens

Die spirituelle Tiefe der Shaolin-Künste - Teil 5

Kung Fu-Kampf

Im Training zum Spaß aller Anwesenden, dürfen wir im Ernstfall nicht zögern, einen Kampf bis zum Ende durchzuziehen.

Falls du es noch nicht getan hast oder wann immer dir etwas noch unklar ist,empfehle ich dir, diese Serie von Beginn an zu lesen.

Dieser Artikel basiert auf der Antwort einer interessanten Frage von meiner Schülerin Sofija.

Frage

Ich habe ein Interview gesehen, bei dem ein Zen-Lehrer über diverse Aspekte des Zen redet. Unter anderem erzählt er über sein Schwert und, dass er es zur Tötung seines Gegners verwenden würde, sollte dieser mit einem Schwert sein Leben bedrohen.

Die Geschichte von Fong Sai Yoke fand ich höchst interessant, allerdings wird hier auch von der Tötung des Gegners geredet.

Dass Kung Fu eine Kampfkunst ist, die, über viele Jahre trainiert und auf hohem Niveau ausgeübt, zur Tötung des Gegners führen kann, ist durchaus klar. Allerdings interessiert mich der moralisch/ethische (ebenfalls karmische) Aspekt.

Unter welchen Umständen ist das Töten des Gegners im Shaolin Kung Fu gerechtfertigt?

Das Karma des Kung Fu

Es liegt in der Natur unseres Trainings uns zu friedvollen Menschen zu machen. Gutes zieht Gutes an. Demnach geraten wir kaum bis niemals in Situationen, in denen unsere Selbstverteidigungsfähigkeiten gefordert werden. Am ehesten noch, wenn wir anderen zur Hilfe eilen müssen.

Dennoch, wenn unser Leben oder das eines unserer Lieben bedroht ist, dürfen wir nicht zögern die Kampfkünste auch mit voller Härte einzusetzen. Während Mitgefühl eine Tugend ist, die wir stets pflegen, können Zögern und Zurückhaltung im Kampf die Niederlage bringen.

Shaolin Kung Fu ist aber ideal, um über das Niveau von bloßem Totprügeln hinauszuwachsen. Man verwendet, ebenso wie im Tai Chi Chuan, stets nur das geringste nötige Mittel, um selbst keinen Schaden zu nehmen. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes um "Selbstverteidigung", also darauf zu achten, selbst keinen Schaden zu nehmen. Der großzügige Austausch von Schlägen ohne Rücksicht auf Verluste bis einer umfällt, der sich heutzutage vom Straßenkampf bis zu modernen Kampfsportarten durchzieht, steht also im krassen Gegensatz zur Kung Fu-Philosophie, in der "Saftey First", also "Sicherheit geht vor", das oberste Gebot ist.

Die Shaolin-Künste machen den Geist klar und stark. Unser Training gewöhnt uns Schritt für Schritt daran, auf immer komplexere Situationen spontan und richtig zu reagieren, wodurch weise Entscheidungsfähigkeit und Entschlusskraft geschult werden. Fähigkeiten, die wir natürlich lieber im Berufsleben und Alltag anwenden als im realen Kampf.

Hochwertiges Shaolin Kung Fu bietet viele Möglichkeiten den Gegner kampfunfähig zu machen und die Situation zu deeskalieren. Hohe Künste wie Chin-Na (Halte- und Hebeltechniken) und Dim-Mak (das Schließen von Vitalpunkten) können sogar sehr schonend eingesetzt werden. Während Dim-Mak oft fälschlich mit "Death Touch", also "Todesberührung", übersetzt wird, ist es eine mitfühlende Art zu kämpfen. Selbst, wenn man durch das Blockieren des gegnerischen Energieflusses Lähmungen in ihm erwirkt, können diese Effekte durch Wiederherstellung des Energieflusses wieder vollständig rückgängig gemacht werden.

Falls wir es wirklich mal anwenden müssen, sagen wir dem Gegner nach dem Kampf, dass wir Dim-Mak angewandt haben und er einen guten TCM-Arzt, zum Beispiel einen guten Akupunkteur, aufsuchen soll, um die Blockade wieder zu lösen. Auch, wenn wir den Schaden selbst beheben könnten, ist diese Vorgehensweise sicherer. Leider fehlt es den meisten Menschen, die Schlägereien anfangen, an Ethik und sie können sich ihre Niederlage nicht eingestehen, bzw. diese nicht akzeptieren. Manch einer würde wohl nach der "Reparatur" gleich weiterkämpfen wollen.

Im freundschaftlichen Sparring beim Training stoppen wir stets ab. Wenn unser Partner nicht mitbekommen hat, dass wir ihn eigentlich verdeckt in den Schritt treten hätten können, weisen wir ihn darauf hin. Dieser wird den Hinweis dankend annehmen und in Zukunft besser Acht geben. In einem realen Kampf können wir dies leider nicht erwarten, weshalb wir die Attacke bis ins Ziel bringen müssen. Ein bloßes "Ich hätte dir jetzt ins Auge stechen können, aber ich habe dich verschont." wird bei den meisten Menschen wenig Eindruck hinterlassen, geschweige denn den Kampf zum Abbruch bringen. Unter wahrhaften Meistern würde sich der gerade-nicht-Getroffene verneigen und seine Niederlage akzeptieren.

Auch in der Vergangenheit war nicht jeder, der ein gewisses Geschick in einer Kampfkunst erlernt hatte, weise und ehrenhaft. Gewalt wurde immer schon auch dazu eingesetzt, um sich selbst Vorteile zu verschaffen oder andere zu unterdrücken. Dinge, die wir grundsätzlich ablehnen, was sich in unseren 10 Shaolin-Gesetzten widerspiegelt. Fong Sai Yoke löste eine Kette an heftigen Reaktionen aus. Schlussendlich beendete die Nonne Ng Mui das Gemetzel und nahm Fong Sai Yoke zur Belehrung ins Kloster mit, wo sie ihn unterrichtete.

The Legend of Fong Sai Yuk

Jet Li als Fong Sai Yoke

Die Geschichte soll uns also nicht lehren, dass man stets Blutrache betreiben sollte. Neben der schönen Darstellung, dass Alter, Geschlecht und Körperbau für Kung Fu unwichtig sind, wirkt Ng Mui als Vorbild, indem sie wahre Größe zeigt den jungen Mann nicht zu verurteilen, sondern ihn auf den rechten Weg zurückzuführen.

Auch sollte man nicht vergessen, dass die Geschichte aus einer Zeit stammt, in der noch die Faust regierte. Damit kommen wir genau zu dem Punkt, wo es moralisch/ethisch vertretbar sein kann, die Kampfkünste einzusetzen. Zum Schutz vor Gewalt und Unterdrückung von Schwächeren ist der Einsatz gerechtfertigt.

Die Mönche des Shaolin-Tempels unterstützten über Jahrhunderte hinweg gutgesinnte Regierungen, während sie dabei halfen unterdrückende Herrscher zu stürzen. Der südliche Shaolin-Tempel in Quanzhou wurde zerstört, weil er als Rebellenstützpunkt galt. Der chinesische Volksheld Wong Fei Hung, ebenfalls ein legendärer Shaolin-Meister, bot Schutz für Schwächere und sorgte für Gerechtigkeit, auch unter Einsatz seiner herausragenden Kampfkunstfähigkeiten.

Karmisch gesehen, kann es „gut“ sein jemanden zu töten, wenn dadurch vielen anderen Lebewesen Leid erspart bleibt. Dennoch sollte stets das mindeste nötige Maß angewandt werden. In den seltensten Fällen wird die Todesstrafe wirklich der einzige Ausweg sein. Unsere moderne Gesellschaft bietet glücklicherweise viele andere – beispielsweise gerichtliche – Methoden, friedvolle Proteste und sogar komfortable Online-Petitionen, um gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung vorzugehen.

Der entscheidende Faktor für den karmischen Effekt ist die zugrundeliegende Intention. Fügt man anderen aus bloßer Freude oder Eigennutz Leid zu, wird die Auswirkung negativ sein. Möchte man anderen Leid ersparen, sind die Auswirkungen positiv, wenn man aus reinem Gewissen und gerechtem Entschluss handelt. Dabei kann man im Zweifel Gott, das Universum oder was auch immer man als höchste Instanz erachtet, fragen und entsprechend der Antwort handeln.

Wenn man jemand anderen unabsichtlich anrempelt und ihm dadurch Schaden zufügt, ist der Effekt anders, als wenn man es mit Absicht tut. Dennoch sollte man sich aber auch nicht fahrlässig verhalten. Hierzu ist das Training von Weisheit und Achtsamkeit in den Shaolin-Künsten sehr hilfreich.

Zerbrichst du die Autoscheibe deines Nachbarn im Streit, wirst du einen negativen Eindruck auf deiner Seele hinterlassen. Zerbrichst du sie, um ihn aus dem brennenden Auto zu retten, wirst du gute Verdienst verbuchen.

Die Kampfanwendung ist ein wichtiger Bestandteil der Kampfkünste, da diese ohne sie bloß eine leere Hülle wären und nicht den vollen Nutzen ermöglichen würden. Dennoch steht der Kampfaspekt für uns nicht im Vordergrund.

Unser Training in Shaolin Wahnam dient dazu, die Gesundheit zu fördern, Vitalität, Lebensfreude, Leistungskraft und einen klaren Geist zu entwickeln, sowie spirituelle Freuden zu erfahren. Also alle Zutaten für ein gesundes, glückliches, erfolgreiches und langes Leben zu kultivieren.

Wenn es im Ernstfall wirklich nötig ist, scheuen wir aber nicht davor zurück, unsere Kampfkünste auch anzuwenden.

Kung Fu Tritt

 

Die Serie „Die spirituelle Tiefe der Shaolin-Künste“

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Sifu Leo

Autor: Sifu Leonard Lackinger



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Why I practice Kung Fu, Part 3, Spiritual Cultivation - Sifu Markus Kahila

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Die Ausübung der angebotenen Shaolin-Künste ersetzen weder Arzt noch psychologische Betreuung, können jedoch jede medizinische Therapie begleiten und unterstützen.