Über sitzende Meditation, Zen und die Erleuchtung
Definition von Meditation
Der im Westen geprägte Begriff „Meditation“ ist eigentlich keine gute Wortwahl. Es leitet sich vom lateinischen „meditatio / meditari“ und auch dem griechischen „medomai“ ab. Beides bedeutet über etwas (angestrengt) nachzudenken, zu überlegen. Das Ziel einer Meditationseinheit ist es aber, einen entspannten und leeren, also gedankenfreien, Geisteszustand zu erlangen. Da sich das Wort eingebürgert hat, verwenden wir es natürlich auch, definieren es aber nicht nach seinem Wortstamm, sondern nach seinem ursprünglichem Sinn.
Viele denken bei Meditation automatisch daran mit verschränkten Beinen im Lotussitz zu sitzen. Eine großer Anteil Praktizierender übt sich in der sitzenden Meditation um Stress oder anderen seelischen Problemen entgegenzuwirken. Dabei gibt es viele Arten der Meditation, wovon die meisten für diese Zwecke weit besser geeignet sind und schnellere Ergebnisse verschaffen.
Keine Meditation in Shaolin Wahnam?
Häufig wird die Frage gestellt, warum wir in Shaolin Wahnam keine sitzende Meditation lehren und praktizieren.
Um dies zu beantworten ist es hilfreich sich den Zweck der einzelnen Methoden anzusehen, diese mit den gesetzten Zielen abzugleichen und mit Kosteneffizienz und Risiko abzuwägen. Dadurch findet man die am besten geeignete, effizienteste und sicherste Methode für die eigenen Absichten.
Die Aufgabe der sitzenden Meditation ist das Training des Geistes mit dem schlussendlichen Ziel der Erleuchtung. Daher ist sie ein unersetzliches Werkzeug für Mönche auf dem Pfad zur spirituellen Verwirklichung.
Die Aufgabe der bewegten Meditation im Qi Gong, wo wir unsere Kampfkünste Shaolin Kung Fu und Tai Chi Chuan ebenso einreihen, ist das Training aller 3 Schätze des Körpers, namens Körper, Geist und Energie.
Auch die sitzende Meditation wirkt sich auf Körper und Energie aus. Es können ebenfalls innere Kraft entwickelt und auch körperliche Beschwerden gelindert werden. Allerdings dauert es viel länger um ähnliche Ergebnisse wie im Qi Gong zu erreichen, weil der Fokus der Methode nicht darauf ausgerichtet ist. Wenn ein Kultivierender emotional verwirrt oder körperlich krank ist und die sitzende Meditation anstrebt um seinen Geist auszudehnen, wird er seine emotionalen oder körperlichen Beschwerden wahrscheinlich verschlimmern.
Als Analogie kann man sich zwei starke Autos vorstellen. Mit einem Sportwagen kommt man auf der Autobahn zwar rasch voran, im Gelände ist ein Jeep aber viel besser geeignet und somit effektiver. Ist die holprige Landstraße erst mal geebnet und zur Autobahn ausgebaut, kommt man mit dem Sportwagen am schnellsten voran.
Auch Qi Gong und Shaolin Kung Fu sind
Formen der Meditation, was man an Sifus
Fokus in diesem Bild sehr gut erkennen kann.
Großmeister Wong Kiew Kit über Meditation
Es folgt eine Übersetzung aus den Fragen & Antworten, April 2007
Meditation ist das Training des Geistes. Es gibt 4 Hauptposen für Meditation, nämlich stehend, sitzend, liegend und in Bewegung. Jede hat seine Vor- und Nachteile.
In der Standmeditation stehen Praktizierende aufrecht oder manchmal in verschiedenen Ständen. Die sitzende Meditation kann auf einem Stuhl sitzend oder in einem Lotussitz ausgeübt werden. In der liegenden Meditation liegen Übende auf dem Rücken mit den Händen seitlich am Boden oder auf der Seite mit einer Hand den Kopf abstützend und der anderen auf dem gewinkelten Bein. In bewegter Meditation bewegen sich Praktizierende entweder frei oder in vorbestimmten Bewegungen.
Jedes Mal wenn wir in unserer Schule praktizieren, egal ob es Qi Gong, Shaolin Kung Fu oder Wahnam Tai Chi Chuan ist, praktizieren wir Meditation, weil alles, was wir tun ein Training von Geist und Energie ist. Zu Beginn und Abschluss unserer Trainingseinheit üben wir die Standmeditation.
Auf Anfänger- und mittlerer Stufe ist die Standmeditation besser als die sitzende Meditation. Resultate kommen viel schneller und es gibt weniger Risiko falsch zu praktizieren. Sitzmeditation im Lotussitz ist relativ schwierig für die meisten Menschen. Sitzmeditation auf einem Stuhl ist einfach, bringt aber keine tiefgründigen Resultate.
Die sitzende Meditation im Lotussitz bringt sehr tiefgründige Resultate, es dauert jedoch sehr lange bis sich diese einstellen. Praktizierende brauchen also sehr viel Geduld. Außerdem ist es in der sitzenden Meditation einfacher Fehler zu machen als in der stehenden und die schädlichen Effekte sind auch ernstzunehmender.
Die sitzende Meditation ist daher für fortgeschrittene Praktizierende gedacht, welche nach der höchsten spirituellen Verwirklichung streben. Wenn jemand nicht bereit für diesen edlen Pfad ist, ist es besser die stehende oder bewegte Meditation zu nutzen. Es war aus genau diesem Grund warum der große Bodhidharma den Mönchen die 18 Lohan Hände lehrte. Er befand die Mönche weder körperlich noch spirituell bereit, daher bereitete er sie mit den Übungen vor welche sich später in Shaolin Kung Fu und Shaolin Qi Gong weiterentwickelten.
Allerdings realisieren viele, die Meditation praktizieren, das nicht. Sie starten direkt mit der Meditation im Lotussitz. Nicht nur dass sie nicht die gewünschten Resultate erreichen obwohl sie viele Jahr fleißig üben, erlangen sie oft gegenteilige Effekte wie einen abgestumpften Geist und körperliche Schmerzen.
Aber wenn jemand körperlich, emotional, mental und spirituell bereit ist, ist die sitzende Meditation eine exzellente Methode ein spirituelles Erwachen und schlussendlich die Erleuchtung zu erlangen. Gleichwohl erreichen viele unserer Schüler in Shaolin Wahnam tiefgreifende Resultate, inklusive spirituellen Erweckungen, wenn sie die stehende oder bewegte Meditation verwenden.
Kommentar von Großmeister Wong Kiew Kit zu Zhang San Fengs Abhandlung über Tai Chi Chuan:
Wenn Zhang San Feng sagte, dass die sitzende Meditation essenziell ist, warum praktizieren wir in Shaolin Wahnam sie dann nicht in unserem Taijiquan und Shaolin Kung Fu?
Unsere Bedürfnisse und Ziele sind anders. Zhan San Feng und seine Schüler zielten darauf ab im Tao aufzugehen oder zu Gott, dem heiligen Geist, zurückzukehren.
Wir sind noch nicht bereit für dieses höchste Ziel. Unser Ziel ist niedriger. Wir streben danach ein langes und erfülltes Leben im Hier und Jetzt zu führen. Die stehende und fließende Meditation, welche ein wesentlicher Bestandteil unseres Trainings sind, erfüllen unsere Bedürfnisse und Ziele effektiver.
Später, falls die Notwendigkeit bestehen sollte, könnte die sitzende Meditation auch in unserer Schule gelehrt werden.
Woran merkt man, dass wir noch nicht bereit für das höchste Ziel sind?
Ganz einfach daran, dass wir unser Leben genießen und nicht Mönch oder Nonne geworden sind.
Ein weiser Rat
Ein bekanntes Zitat in unserer Schule ist:
Wenn du im Kung Fu in die Höhen aufsteigen und Tiefe erreichen willst, musst du Qi Gong praktizieren.
Wenn du im Qi Gong in die Höhen aufsteigen und Tiefe erreichen willst, musst du Meditation praktizieren.
- Sigung Ho Fatt Nam
Steht dieser weise Rat im Gegensatz zu unserer heutigen Empfehlung? Nein!
Das Qi Gong, das damals großteils praktiziert wurde und auch heute noch wird, hat wenig mit Meditation zu tun, weil es sich auf die äußerliche gymnastische Übung beschränkt. Daher riet Sigung Ho seinen fortgeschrittenen Schülern zur sitzenden Meditation. Heute ist der meditative Aspekt tief in der Praxis aller unserer Künste verankert.
Also auch wenn wir Kung Fu ausüben, befinden wir uns in Meditation und besonders der angeregte Chi Flow stärkt Körper, Energie und Geist.
Somit interpretieren wir Sigung Hos Rat heute so, dass wahres Kung Fu
auch Energiearbeit ist. Um Energiearbeit, also Qi Gong, richtig ausführen zu können, ist ein meditativer Geisteszustand nötig.
Vipassana und Zen
Im Westen ist die Achtsamkeits- oder Vipassana-Meditation, die ihren Ursprung im Theravada-Buddhismus hat, sehr verbreitet. Bei dieser beobachtet man einfach den Fluss der Gedanken und körperliche Erscheinungen ohne diese zu bewerten. Die Achtsamkeitsmeditation ist natürlich auch eine gute Form der Meditation. Dennoch warnte Bodhidharma davor, weil die Gefahr besteht sich dabei in Gedanken zu verlieren, da das Beobachten selbst auch wieder Gedanken erzeugt.
In unserem Training verwenden wir – unabhängig von der äußeren Form – die auf Bodhidharma zurückzuführende Zen-Meditation, welche nach Eins und schließlich nach Null strebt. Wir entwickeln also einen einsgerichteten Geist und lösen diesen dann ins Nichts auf. Dies ist der (für Zen charakteristische) simpelste, direkteste und effektivste Weg, was nicht bedeutet, dass er auch der einfachste sein muss.
Natürlich sollen auch wir unser Leben achtsam und aufmerksam führen. Schlussendlich kann jede Tätigkeit im Alltag, ob es Geschirrwaschen, Snowboarden oder Lesen ist, zur Meditation werden. Wenn wir alle unnötigen Gedanken beseitigen und auf diese eine Tätigkeit fokussieren, meditieren wir und erreichen dadurch bessere Ergebnisse während wir mehr Freude daran haben.
Sollen nun alle mit der sitzenden Meditation aufhören?
Wenn du von einem erfahrenen Meister in die sitzende Meditation eingewiesen wurdest und damit gute Ergebnisse erzielst, musst du die Praxis nicht beenden.
Allzu oft wird die ungewöhnlich starke Kraft der Praxis in Shaolin Wahnam unterschätzt, insbesondere von ehemaligen Schülern anderer Künste oder Schulen.
Einige unserer Schüler haben durch die Ausübung von Qi Gong oder einer Kampfkunst ein Satori, also ein spirituelles Erwachen, erlangt. Eine Errungenschaft wofür viele Mönche nach Jahrzehnten sitzender Meditation die Füße ihres Meisters küssen würden. Dies soll weder uns glorifizieren noch die Praxis anderer abwerten, ist aber eine Tatsache.
Die Ausübung von Qi Gong oder Kung Fu verhilft dazu alles was man tut besser machen zu können, dadurch also auch die sitzende Meditation. Wenn du deine sitzende Praxis fortführen möchtest, achte darauf nicht ins Übertraining zu geraten und reduziere aufgrund der qualitativen Verbesserung rechtzeitig die Dauer deiner Einheiten. Generell erachten wir es übrigens als besser, 3 Minuten wirklich zu meditieren und frei von Gedanken zu sein, anstatt eine halbe Stunde lang Gedanken hin und her zu wälzen, was sinnlose Zeitverschwendung wäre.
Außerdem empfehle ich einen Selbstversuch die sitzende Meditation eine Zeit lang wegzulassen um so festzustellen, ob sie für die angestrebten Ziele überhaupt nötig ist oder Qi Gong ohnehin mehr als ausreicht. Die gewonnene Zeit kannst du dann für all das nutzen wofür dir vorher die Zeit fehlte.
Wohin soll dein Weg dich führen?
Die von Religion unabhängige und in den Shaolin-Künsten tief verwurzelte Zen-Kultivierung kann Nutzen für jegliche Stufe bereiten, davon sich entspannt und glücklich zu fühlen bis hin zur größten spirituellen Erfüllung.
Wichtige Grundsätze im Zen sind:
- Wege finden, die simpel, direkt und effektiv sind.
- Dinge ganz tun oder bleiben lassen.
Wenn dein Ziel ist, in diesem Leben die Erleuchtung zu erlangen, solltest du dein Zuhause verlassen, um Mönch bzw. Nonne werden und allem Weltlichen entsagen. Anschließend solltest du Körper, Geist und Energie für diesen schwierigen Weg vorbereiten, um dein Ziel sicher und effizient zu erreichen. Danach ist die sitzende Zen-Meditation die schnellste Methode zur Erleuchtung, was vielfach bestätigt wurde.
Wenn deine Ziele – so wie für die meisten Menschen – weltlicher Natur sind, du also ein gesundes, erfülltes und langes Leben führen möchtest, gibt es mit den Shaolin-Künsten Qi Gong, Kung Fu und Tai Chi Chuan besser geeignete, sicherere und gleichzeitig unterhaltsamere Möglichkeiten.
Unser moralischer Wegweiser, die freiwillig eingehaltene Sammlung der 10 Shaolin-Gesetze, sorgt dafür gutes Karma zu erzeugen und so vielleicht schon im nächsten Leben für den Weg zur Erleuchtung bereit und gerüstet zu sein.
Jenen, die in Sukhavati, dem „reinen Land“ des Amitabha Buddha, wiedergeboren werden möchten, bietet der durch unser Training entwickelte, einsgerichtete Geist ein kraftvolles Werkzeug bei der Kultivierung.
Namo Amitabha Buddha, Namo Amitabha Buddha, Namo Amitabha Buddha

Autor: Sifu Leonard Lackinger
teilweise Übersetzungen von Großmeister Wong Kiew Kit
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wunderbar die Werte und Lebenseinstellung von Shaolin Wahnam.
Links:
Q & A, Grandmaster Wong Kiew Kit, April 2007-2
Q & A, Grandmaster Wong Kiew Kit, November 2012-2
Taijiquan Treatise by Zhang San Feng, part 7
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