Erste Schritte zum Kung Fu-Kämpfer / zur Kung Fu-Kämpferin
Wie du lernst, mit klassischem Kung Fu zu kämpfen
Teil 1
Geborene KämpferIn?
Die Evolution hat uns leider nicht mit den idealen Reflexen ausgestattet, um unbeschadet aus einem Zweikampf hervorzugehen. Viele natürlich Reaktionen sind sogar kontra-produktiv. Ungeübte neigen dazu, bei einem ankommenden Schlag einen Schritt zurück zu machen und sich zurückzulehnen, um dem Schlag auszuweichen. Dies kann für den ersten Moment gut sein, jedoch befindet man sich dann in einer höchst unvorteilhaften Haltung, die es schwer möglich macht einen zweiten Schlag abzuwehren. Auch sich zu ducken und den Kopf mit den Armen abzudecken bietet wenig Vorteile und spiegelt wider, dass man bereits aufgegeben hat.
Natürliche Attacken sind ebenso eher plump und ineffizient, wie zum Beispiel groß ausholende Schwinger. Wir werden also mit einer „formlosen“ Kampfkraft geboren.
Ein systematisches Kampfkunsttraining führt dich von dieser „Formlosigkeit“ zunächst zur „Form“ der jeweiligen Kampfkunst.
„Single Tiger Emerges from Cave“ ist eine tiefgründige und
im Vergleich zu tpyischen harten Blocks anderer Kampfkünste
eine sehr weiche Technik, die wenig Kraftaufwand benötigt.
Ausführung und Anwendung müssen aber wohl gelernt sein.
Die Form
Zuerst erlernst du, wie du die über Jahrhunderte verfeinerten Kung Fu-Techniken (bei uns zumeist auf Englisch „Pattern“, also Bewegungsmuster genannt) alleine richtig ausführst. In Shaolin Wahnam kommt davor noch das Basistraining mit den Ständen, „Bewegen in Ständen“ und Flexibilitätsübungen, welche eine gute Grundlage aufbauen.
Dabei sei erwähnt, dass die oft imposante Erscheinung der klassischen Patterns zwar ein angenehmer Nebeneffekt ist, aber keineswegs beabsichtigt. Die Techniken sind die Destillation unzähliger Details. Auch wenn dir anfangs nicht bewusst ist, warum die Füße so stehen sollen, die Hände so gehalten werden und der Oberkörper so, erweisen sich diese „Kleinigkeiten“ später als wichtige Vorteile, während mögliche Nachteile und Risiken vermieden werden.
Die Einzelanwendung
Hast du die Bewegungen einigermaßen verinnerlicht und auch erlernt diese kontrolliert auszuführen, beginnst du, die Anwendungen zu zweit zu trainieren. Dabei merkst du schnell, was bereits funktioniert und was du im Einzeltraining weiter verbessern musst.
Zu Beginn übst du mit PartnerInnen am besten langsam und ohne großen Krafteinsatz. Ist man gezwungen schnell zu reagieren, setzen nämlich rasch die zuvor erwähnten, natürlichen Reflexe ein. „Wir starten später, kommen aber schneller ans Ziel“ ist die Devise. Das heißt, wir geben uns und unseren PartnerInnen Zeit, die angeborenen Reflexe auf hochwertige und effektive Reaktionen umzuprogrammieren, bis diese eines Tages natürlich werden.
Nach und nach kannst du die Geschwindigkeit und die Kraft erhöhen. Abgestoppt wird – zumindest in Shaolin Wahnam – nötigenfalls in jedem Tempo, schließlich wollen wir unserem Trainingspartner ja keinen unnötigen Schaden zufügen. Funktioniert das gut, kann man den Partner mit einer aus mehreren vorher definierten Techniken überraschen, was spontane Reaktion erfordert.
„One or two inches away“ (3-5 cm Abstand)
Beim Schlagtraining gegen die Wand, einen Baum oder ähnliches
lernt man schnell wie wichtig Kontrolle ist.
Auf in den Kampf!
Allzu oft wird in den meisten Schulen dann als nächster Schritt gleich der freie Kampf praktiziert. Dabei sind die zuvor erlernten Techniken plötzlich schnell vergessen und passieren nicht so spontan, wie es bei der Einzelanwendung zuvor noch geklappt hatte. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass die meisten, die Kung Fu erlernen, sich im freien Sparring dann wie Kickboxer verhalten und herumtänzeln, anstatt ihre hochwertigeren Kung Fu-Techniken zu verwenden.
Dies war sicherlich, neben sozialen und militärischen Veränderungen, auch ein Auslöser für den verbreiteten Irrglauben, man könne mit traditioneller Kampfkunst nicht kämpfen. Dabei sind die Kampfkünste doch das Ergebnis von Jahrhunderten an realer Kampferfahrung von unzähligen Meistern.
Freies Sparring gilt, traditionell gesehen, übrigens vielmehr als Überprüfung des Gelernten denn als Trainingsmethode. Natürlich ist die aus dem freien Sparring gewonnene Erfahrung dann aber ebenfalls sehr wichtig und gibt uns Feedback woran wir noch arbeiten müssen. Früher wurde in Schulen jährliche „Zehn-Tiger-Turniere“ ausgetragen, um das über das Jahr Geübte auf die Probe zu stellen und die zehn besten Kämpfer herauszufiltern. Den Rest der Zeit verbrachte man allerdings mit dem Üben anderer Methoden.
Was – unserer Meinung nach – noch fehlt, bevor man sich gut gerüstet in die Schlacht werfen kann, erfährst du im nächsten Teil dieser Serie.
Sparring im traditionellen Kung Fu sieht ganz anders aus als Kickboxen.

Autor: Sifu Leonard Lackinger
Die Serie „Wie du lernst, mit klassischem Kung Fu zu kämpfen“
Hier geht's zu
- Teil 1 - Erste Schritte zum Kung Fu-Kämpfer / zur Kung Fu-Kämpferin
- Teil 2 - Das fehlende Bindeglied
- Teil 3 - Überraschung, Kombination und Variation
- Teil 4 - Klassische Beispiele, Kombinationen im Kampfsport und die siegreiche Strategie
- Teil 5 - Weitere Methoden für Kampffähigkeiten
- Teil 6 - Vom Formlosen zur Form, von der Form zum Formlosen
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