Mogelpackung Shaolin

Nicht überall, wo Shaolin draufsteht, ist auch Shaolin drin.


Shaolin Wushu Show

Die Mönchs-Akrobaten in Orange

Die meisten denken bei Shaolin Kung Fu an junge Mönche in Orange, die mit tollkühnen akrobatischen Einlagen durch die Luft fliegen. Wenn die imposanten Shows auch einiges an hartem Training benötigen und auf jeden Fall Respekt und Anerkennung verdienen, haben sie wenig mit traditionellem Shaolin Kung Fu zu tun. Ob ein echter Mönch wirklich, anstatt seinen Geist bis hin zur Erleuchtung zu kultivieren, rund um die Welt fliegen würde, um die Massen zu unterhalten, sei dahingestellt.

Der ehrenwerte Mönch Hai Deng hatte nach der Restauration des Shaolin-Tempels in den 1960er Jahren noch versucht, traditionelles Kung Fu und das dazugehörige authentische Training wieder einzuführen, blieb jedoch leider erfolglos. So verschwörungstheoretisch das jetzt auch klingen mag, aber seitdem hat das Sportamt der kommunistischen Partei dort das Sagen. Gefördert wird was ins Bild passt und sich gut verkaufen lässt.

Während Massen an Touristen mit folkloristischen Darbietungen und Akrobatikeinlagen bei Laune gehalten werden, sind die traditionellen Künste in China kaum mehr zu finden. Im Fokus stehen der standardisierte Volkssport Wushu, mit seinen eindrucksvollen Darbietungen akrobatischer Kunststücke, und das chinesische Kickboxen Sanshou (bzw. Sanda).

Sofern die Wushu-Vorführungen überhaupt Kampfszenen enthalten, wirken diese meist nicht sehr realistisch. Wichtige Kung Fu-Prinzipien, wie sich zuallersert selbst zu schützen, werden nicht beachtet. Die Kontrahenten stürzen sich mit waghalsigen Sprüngen, Hals über Kopf, in die Schlacht, womit sie im echten Kampf tödliche Risiken eingehen würden. Hut ab vor den Leistungen der jungen Athleten, aber mit traditionellem Shaolin hat das bis auf die äußere Form der Techniken wenig zu tun.


Wushu Attacke

Auf ihn mit Gebrüll!

Unzählige Kinder besuchen Wushu-Schulen in der (finanziell oft einzigen) Hoffnung eines Tages auch auf der Bühne zu stehen, Filmstar oder Bodyguard wichtiger Persönlichkeiten zu werden. Aber nur wenige schaffen diesen Weg. Manche kommen bei der Polizei unter oder werden mit Mitte 20 Trainer.

Das nahzu militärische Training ähnelt dem Drill von Zirkusartisten oder Bodenturnern und nicht einem gesunden Lebensweg zur Persönlichkeitsentwicklung oder gar zur Erleuchtung. Schmerzen und Verletzungen gehören zum Trainingsalltag, was die Gesundheit der Athleten rasant schädigt. Dementsprechend gilt der Leitsatz: „Wer trainieren kann, trainiert. Wer nicht mehr kann, unterrichtet.“

Aber das muss nicht so sein!

Obwohl ich immer sehr sportlich war, habe ich selbst lange Zeit keine Kampfkunst begonnen, weil ich mir sagte, dass ich mit über 20 keinen Spagat mehr schaffen werde. Mit 26 habe ich glücklicherweise dann schließlich doch noch meinen Weg in den Kampfkünsten eingeschlagen.

Heute kann ich getrost sagen, dass man nicht mit 6 Jahren mit Kung Fu beginnen muss, um darin erfolgreich sein zu können. Vielmehr bin ich der Meinung, dass das volle Potential der Shaolin-Künste erst nach dem Erwachsenwerden ausgeschöpft werden kann. Erst wenn der Geist voll entwickelt ist und auch mal stillhalten kann, können die meditativen Praktiken, die zu den höchsten Künsten und Erfolgen führen, wahrhaft verkörpert werden. Natürlich soll das nicht bedeuten, dass Kinder nicht von den Shaolin-Künsten profitieren können, auch wenn die geistige Komponente nicht so sehr im Vordergrund steht.

Den Spagat habe ich übrigens doch noch mal geschafft. Im Sparring habe ich ihn aber nie benötigt. Im Moment würde ich ihn wohl nicht schaffen, weil ich dafür nicht trainiere. Macht aber nichts. Im traditionellen südlichen Shaolin-Kung Fu werden Tritte aus Gründen der eigenen Sicherheit so gut wie nie über Bauchhöhe ausgeführt. Je weiter man die Beine spreizt, desto leichter fängt man sich einen Konter in den Schritt ein. Auf einem Bein zu stehen schränkt überdies die Stabilität und dadurch die Sicherheit ein. Es kann zwar manchmal praktisch sein, einen Spagat zu können, ist aber absolut nicht notwendig, um im Shaolin Kung Fu oder Tai Chi Chuan erfolgreich zu sein.

In Shaolin Wahnam fand ich schließlich heraus, dass Schmerzen und Verbissenheit (Ku Lian) beim Training nicht notwendig sind, wenn man die richtige Methodik hat. So wird das Training zur reinen Freude und die Erfolge stellen sich sogar rascher ein, ohne dabei Verletzungen zu riskieren. Natürlich beinhaltet auch unser Training sanfte Übungen, um die Dehnung, Beweglichkeit und Agilität zu trainieren, aber wir verwenden keine schmerzhaften Methoden, um mit Gewalt noch schneller voranzukommen.

Hard Qi Gong

Die Zurschaustellungen des „Hard Qi Gong“, also jene Demonstrationen bei denen Holzstöcke am Körper oder Eisenstangen am Kopf zerschlagen werden, sind durchaus beeindruckend und sollten von Untrainierten nicht nachgeahmt werden. Allerdings handelt es sich hierbei mehr um Stuntman-Tricks als um Qi Gong, also Energiearbeit. Oft sieht man den Darstellern sehr wohl Schmerzen oder gar Verletzungen an.


Show Stunt

Hard "Qi Gong" Demonstration

Durch äußere Abhärtung kann man durchaus Knochen verdichten und sich an Schmerzen gewöhnen, wozu auch immer es sonst noch hilfreich ist ein natürliches Warnsignal des Körpers abzuschalten. Einige der Athleten moderner Kung Fu-Shows haben sicher eine gewisse Stufe des Iron Shirt (Eisenhemd) oder Iron Head (Eisenkopf) erlangt. Es werden sich jedoch viele Stuntman oder Kampfsportler anderer Disziplinen finden, die dies ebenso schaffen, ohne jemals Qi Gong praktiziert zu haben.

Im Übrigen ist physikalisch leicht zu erklären, dass es für den „Geschlagenen“ weniger schlimm wird, je fester der „Schlagende“ die Holzlatte an ihm zertrümmert. Je höhere die Aufprallgeschwindigkeit, desto leichter bricht das Holz.

Versteh mich bitte nicht falsch! Ich selbst hätte auch keine Freude damit, mich auf ein Nagelbrett zu legen und dann eine Betonplatte auf meinem Bauch zerschlagen zu lassen. Worauf ich hinweisen möchte ist, dass es einen großen Unterschied zwischen den heutigen Show-Demonstrationen und wahrhaftigen Qi Gong-Fähigkeiten gibt.

Iron Shirt VS Golden Bell

Das Training für das Iron Shirt besteht hauptsächlich aus externen Methoden, wie dem beständigen Abhärten durch Schläge und dem Auftragen medizinischer Kräuteressenzen (Tit Ta Jow). Die interne Qi Gong-Komponente dient eher dazu den entstandenen Schaden an inneren Organen möglichst gering zu halten. Oftmals wird dieser innere Teil aber gänzlich weggelassen. Auch so mancher Muay Thai-Profi hat durch beständiges Treten gegen Palmstämme „Iron Legs“ erlangt.

Im Unterschied zu den „eisernen“ Künsten, entsteht die weit hochwertigere Golden Bell (Goldene Glocke) durch inneres Qi Gong-Training. Das Training hierfür ist weit weniger schmerzhaft und das Ergebnis viel erstrebenswerter, wenngleich es länger dauert. Neben der Fähigkeit Schlägen und gar stumpfen Waffen widerstehen zu können, strotzen Meister, die die Golden Bell erlangt haben, vor Energie und Vitalität.

Unser Großmeister Wong Kiew Kit wurde bei einem Seminar, zum Erschrecken der Anwesenden, von einem kräftigen Mann mit einem Beil attackiert, um seine Golden Bell unter Beweis stellen zu müssen. Obwohl sein Anzug zerschnitten war, war hinterher keinerlei Spur auf seinem Körper zu finden. Die größte Gefahr bestand für die Zeugen. Nämlich als das Beil mit großer Wucht abprallte und quer durch den Saal flog.

Bruchtests

In Shaolin Wahnam sind wir natürlich auch vom brachialen Zerbrechen von Ziegelsteinen und Betonplatten beeindruckt und manche gehen ebenfalls dem Iron Palm-Training nach. Allerdings schätzen wir Künste mehr, die es ermöglichen Gegner mit einer sanften Berührung oder gar ohne Kontakt lahm zu legen (Dim Mak, Cosmos Palm), ohne dabei bleibenden Schaden anzurichten. Daher kann unser Lehrprogramm bei beständigem Training eher diese Künste, welche auch zur Heilung anderer verwendet werden können, hervorbringen.

Einige unserer Instruktoren haben diese vergleichsweise sanften Schläge an Ziegelsteinen erprobt und dabei auf Wunsch auch nur den unteren von zwei Steinen oder den mittleren von drei zerbrochen. Mit einem unserer Schätze, dem One Finger Shooting Zen, haben einige von uns Kerzen ausgelöscht. Manche sogar, wenn diese hinter Glas standen.


Brick Breaking

Sifu Steve Clarke bricht den unteren von 2 Ziegelsteinen

Shaolin entzaubert?

Verzeih mir bitte die Entzauberung so mancher Darbietung. Ziel ist es nicht, diese Shows abzuwerten oder unsere Künste zu glorifizieren. Sondern vielmehr will ich für Offenheit für die legendären, oft für mythisch-unwahr gehaltenen Künste sorgen. Worauf ich hinweisen möchte ist, dass – so beeindruckend die modernen Show-Einlagen auch sind – die Shaolin-Künste viele Dinge, die noch weit darüber hinausreichen, ermöglichen können.

Energie kennt keine Grenzen. Weder körperliche noch geistige. Während der Effekt muskulären Trainings ab einem gewissen Alter abfällt, findet das Training im Qi Gong niemals ein Ende. Vielmehr steigen die Fähigkeiten wahrer Meister mit dem Alter immer mehr an.

Neben den atemberaubenden Fähigkeiten und deren spaßigen Tests, sollte jedoch stets das eigentliche Ziel der Kampfkünste nie aus dem Auge gelassen werden. Körper und Geist sollen geheilt und gestärkt werden und das Training nicht das Gegenteil bewirken. Darüber hinaus können die Fähigkeiten auch zum Übertragen von Energie verwendet werden, um anderen bei der Heilung behilflich zu sein.

Wir würden nie behaupten, dass andere nicht kämpfen können oder dass wir darin besser wären. Uns ist es jedoch wichtig, uns mit den traditionellen Techniken zu verteidigen und im Kampf nicht auf Boxtechniken oder gar intuitiven Kampf zurückgreifen zu müssen. Leider ist dies aber bei den meisten modernen Kung Fu-Praktizierenden der Fall. Shaolin Wahnam hat es sich zur Aufgabe gemacht die ursprünglichen Künste und Fähigkeiten aus Shaolin für die Nachwelt zu bewahren.


Shaolin Boxer

Shaolin-Mönch mit Sanda-Technik im Boxring

Wie stelle ich fest ob ich eine authentische, traditionelle Kampfkunst trainiere?

Ganz einfach, indem du folgende Fragen beantwortest:

  • Übt ihr traditionelle Techniken und auch deren Kampfanwendung?
  • Verwendet ihr die traditionellen Techniken auch im Freikampf, ohne auf Kickboxen zurückzugreifen?
  • Entstehen Verletzungen nur im seltenen Ausnahmefall und werden nicht stolz als Trophäen vorgewiesen?
  • Führt das Training dazu, dass du dein Leben gesünder und vitaler führen kannst?
  • Erlangst du durch das Training innere Ruhe und Ausgeglichenheit?
  • Wird dir vom westlichen Grundsatz "No Pain, No Gain" (Kein Schmerz, kein Fortschritt) abgeraten?
  • Vermittelt deine Schule auch Hintergrundinformationen zu Geschichte, Philosophie und Moral der Shaolin?

Wenn du alle Fragen – so wie von SchülerInnen in Shaolin Wahnam – mit Ja beantworten kannst, gratuliere ich dir zur seltenen Möglichkeit einen traditionellen Meister gefunden zu haben!

Falls nicht, oder wenn du trotzdem unser angenehmes und effektives Training ausprobieren möchtest, findest du hier alle Informationen zu unseren Kursen.

 

So, genug geschrieben für heute. Und nun schaue ich mir einen Jackie Chan-Film an. :)

Sifu Leo

Autor: Sifu Leonard Lackinger



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