Fragen und Antworten
Ausgabe 2021-06

Himmel anheben

Das Beste kommt in unserem Shaolin Qi Gong gleich zu Beginn.

Frage 1

Hat das „Himmel anheben“ auch eine spezifischere Funktion?

Guten Energiefluss anregen habe ich soweit verstanden und gefühlt... aber hat diese spezifische Übung noch eine besondere Wirkung auf unsere Energie, oder auch den Körper?

- Sheila

Wenn man bedenkt, dass die meisten Qi Gong-Übenden auch nach Jahren der Praxis keinen energetischen Effekt verspüren, ist es eigentlich fantastisch, dass du deine Energie schon beim ersten Mal stärker fließen gespürt hast.

Wie du bereits richtig verstanden hast, ist das Ziel jeder Übung, den Energiefluss in uns ganzheitlich anzuregen.

Das „Himmel anheben“ ist vielleicht die beste Qi Gong-Übung überhaupt, die für absolute AnfängerInnen genauso geeignet ist wie für Meister. Mit ihr kann man grundlegende Fähigkeiten entwickeln, wie den Qi Flow auszulösen. Etwas fortgeschrittener kannst du einen klaren Geist damit entwickeln und trainieren, gleichzeitig entspannt und fokussiert zu sein. Und sogar meisterliche Geschicke, wie sich mit dem Kosmos zu verbinden, kann man damit aktivieren.

Wir stellen immer die ganzheitlichen Nutzen, also eine robuste Gesundheit, Vitalität, Leistungskraft und seelische Balance, voran.

Dennoch haben die Übungen auch spezifische Effekte. Das heißt, dass sie bei manchen Beschwerden und Zielen etwas effizienter sind als andere.

Mit dem „Himmel anheben“ aktivierst du alle zwölf Hauptmeridiane. Darum nenne ich die Übung auch gerne den „Allgemeinmediziner“ unter den Qi Gong-Übungen. Im Zweifel liegt man mit „Himmel anheben“ niemals falsch.

Der „dreifache Erwärmer“, der in der traditionellen chinesischen Medizin als Organ gilt, das die Energieverteilung im Oberkörper und die Körpertemperatur regelt. Ein starker dreifacher Erwärmer verleiht dir auch eine kraftvolle Stimme.

Die Energie im ganzen Körper wird harmonisiert und du entwickelst eine allgemein gute Gesundheit.

Auf körperlicher Ebene verleiht die Übung eine gute Haltung und ist sehr hilfreich für Rücken und Nacken.

Sie löst Stress und Ängste auf und stärkt das Selbstvertrauen.

Außerdem kann sie hilfreich gegen Hämorrhoiden, Inkontinenz, Allergien und Tinnitus sein.

Auch bei der Regeneration von Verletzungen leistet sie gute Dienste und viele kann auch als „erste Hilfe“ bei kleineren Unfällen eingesetzt werden. Hier ein spannender Erfahrungsbericht von meiner Schülerin Ullu.

Bei einem Wespenstich oder wenn du dich wo anstößt oder leicht verbrennst, denke ans „Himmel anheben“ und bereinige die Blockade gleich im Entstehen. (Bei stärkeren Verletzungen ehe natürlich zum Arzt!)

„Himmel anheben“, das von meiner Sije (ältere Shaolin-Schwester), Sifu Irene Hewarth, oft liebevoll „die Königin des Qi Gong“ genannt wird, bietet also reichlich wunderbare Effekte. Vorausgesetzt, du übst es täglich aus.

Wichtig fürs Verständnis ist jedoch, dass das bloße Nachahmen der Bewegung nicht über die körperliche Ebene hinausführt. Sich ein wenig zu strecken und dabei Muskeln und Gelenke zu lockern, ist natürlich gut.

Um aber die aufgezählten gesundheitlichen und tiefgründigen Effekte hervorzubringen, ist es wichtig, dass du auch grundlegende Qi Gong-Fähigkeiten erlernst und einsetzt.

Frage 2

Ad Atmen: Man soll beim Qi Flow den Mund offenlassen.

Soll man dann durch den Mund atmen, durch die Nase oder durch die Nase ein und den Mund aus oder ist es egal?

- Birgit

Im Qi Flow lassen wir alles, wie es ist.

Tritt eine körperliche Schwingung oder Bewegung auf, lassen wir sie geschehen.

Atmen wir plötzlich durch den Mund ein und die Nase aus, was das Gegenteil zu unserer üblichen (und auch natürlichen) Atmung ist, lassen wir es ebenfalls zu.

Wichtig ist nur – wie du richtig schreibst –, dass der Mund immer offenbleibt, damit alles Alte raus kann.

Der Atem wird in der spontanen Qi Flow-Phase aber nicht reguliert. Erst in der anschließenden Standmeditation kehren wir zur geregelten Atmung (Nase ein, Mund aus) zurück.

Wu Ji, aufrechte Haltung

Durch die beständige Praxis erlangen wir eine aufrechte und entspannte Haltung... nicht nur körperlich.

Frage 3

Hast du einen Tipp, wenn man beim Stehen ein Hohlkreuz hat?

- Giada

Im Qi Gong lernen wir aufrecht und entspannt zu stehen. Unsere Grundhaltung, der „Wu Ji-Stand“ verkörpert genau das.

Viele Menschen haben anfangs ein Hohlkreuz und ihr Gewicht zu sehr auf die Fersen verlagert.

Ein guter erster Schritt ist daher, dich im Stehen sanft einzuwiegen und zu spüren, ob das Gewicht gleichmäßig auf beide Füße und die gesamten Fußsohlen verteilt ist.

Halte die Beine aufrecht, aber nicht durchgestreckt.

Dann atme aus, entspanne deinen Rücken und ermögliche dem Becken sich selbst in Position zu bringen. Vermeide dabei, aktiv zu kippen, wie es vielerorts angeleitet wird. Forcierst du es, führt es meist nur erst recht zu Anspannung oder einer verkrampften Haltung.

Übungen, die den Rücken nach und nach aufrichten und ins Lot bringen, sind insbesondere „Himmel anheben“, „Mond tragen“ und „Nieren nähren“.

Nach und nach wird sich dein Körper an die neue aufrechte Haltung gewöhnen.

Frage 4

Ich habe die Qigong-DVSs Xi Sui Jing und Yi Jin Xi Sui Jing von Shifu Yan Lei gekauft und durchgearbeitet.

Auch habe ich das Buch: Yang Jwing-Ming - Qigong, The Secret of Youth: Da Mo's Muscle/Tendon Changing and Marrow/Brain Washing Classics gelesen.

Dort ist das Xi Sui Jing allerdings nur als Neigong-Form [Anm.: innere Übung] angegeben. Wie ist der Unterschied zu verstehen?

- Andrej

Mein Sifu, Großmeister Wong Kiew Kit, sammelt seit seiner Jugend zahlreiche klassische Überlieferungen. Im Gegensatz zu den „18 Lohan Händen“, den „8 Brokaten“ und „Yi Jin Jing“, die allesamt gut dokumentiert sind, gibt es keine Überlieferungen zu den Übungen der Knochenmarksreinigung.

Mein Sifu hatte daher eines Tages die Erkenntnis, dass es nicht wie bei den anderen Übungsgruppen um Techniken geht, sondern um die Fähigkeit die Energie bis in die tiefste Ebene des Energieflusses zu leiten, also die Knochenmarkseben, die nach westlichem Verständnis das Nervensystem ist.

Da Fähigkeiten nicht greifbar oder sichtbar sind, gibt es auch keine Überlieferungen dazu. Die Mönche im früheren Shaolin-Kloster hatten diese wahrscheinlich durch ihre beständige Praxis entwickelt, indem sie ihre Energie in immer tiefere Schichten leiten konnten.

Auch ohne schriftliche Grundlage haben sich verschiedene Versionen von Xi Sui Jing entwickelt.

Woher die populäre Version der modernen Shaolin-Mönche stammt, weiß ich nicht. Sie wird auch erst seit wenigen Jahren unterrichtet. Angeblich, weil sie vorher geheim gehalten wurde.

Die Version von Meister Yang Jwing-Ming ist mir nicht bekannt.

Wie genau der ehrwürdige Bodhidharma vor über 1500 Jahren Xi Sui Jing unterrichtet hat, weiß niemand.

Wenn man aber – so wie meine SchülerInnen vorgestern im Fortgeschrittenenkurs – die Energie im Knochenmark fließen spürt und die Effekte erfährt, die das mit sich bringt, fragt niemand mehr, ob die Technik dafür jetzt „richtig“ oder „authentisch“ war. Man erfährt am eigenen Leib, dass es funktioniert.

Ausführlicher kannst du dies in meinem Blog-Eintrag zur Knochenmarksreinigung - Bone Marrow Cleansing (Xi Sui Jing) nachlesen.

Two Tigers at Ready

„Two Tigers at Ready“ - die Ausgangsstellung im Shaolin Kung Fu

Frage 5

Warum schlucken wir, wenn wir in „Two Tigers at Ready“ gehen?

- Bernhard

„Two Tigers at Ready“ (Zwei Tiger sind bereit) ist unsere Ausgangsstellung im Shaolin Kung Fu. Wir stehen aufrecht mit den Füßen nahe beieinander und halten die Fäuste an der Hüfte bereit.

Als Vorübung nutzen wir „Lifting Sun and Moon“ (Sonne und Mond heben), um die Energie in Fluss zu bringen. Während wir die Hände neben dem Oberkörper hochführen, atmen wir durch die Nase ein. Beim Runterführen der Hände atmen wir durch den Mund aus. Das wiederholen wir zumeist dreimal.

Danach führen wir die Hände ein letztes Mal mit dem Einatmen hoch, bringen die Hände nach vorne zum Brustkorb und führen sie mit den Handflächen nach unten sanft hinab zum Dantian, dem Energiefeld im Unterbauch.

Anschließend bilden wir Fäuste, „rollen“ sie nach vorne und ziehen sie dann an die Hüfte zurück, wobei wir den Brustkorb öffnen. Dabei schlucken wir sanft. Aber warum?

Wie schon erwähnt, wollen wir unseren Energiefluss schon anregen, wenn wir unsere Ausgangsstellung einnehmen.

Das „kraftvolle kleine Universum“ (welches das Qi um Vorder- und Rückseite des Oberkörpers zirkulieren lässt) verwendet die „umgekehrte Atmung“. Dabei hebt sich der Bauch beim Ausatmen und senkt sich beim Einatmen, also genau umgekehrt zu sonst.

Während wir beim Heben der Hände einatmen, steigt die Energie den Du-Meridian (auch Gouverneur oder Lenkergefäß) am Rücken hoch. Beim Ausatmen und Senken der Hände fließt die Energie den Ren-Meridian (auch Konzeptionsgefäß) hinab zum Dantian. Mit dem Schlucken fließt die Energie zum „Hui Yin“-Dantian am Damm/Perineum und vollendet somit den Rundlauf um den Oberkörper.

Mach dir keine Gedanken, wenn du die „umgekehrte Atmung“ noch nicht erlernt hast oder den beschriebenen Energiefluss nicht spürst. Atme einfach natürlich und folge der Anleitung.

 

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