Fragen und Antworten
Ausgabe 2020-12

Im Kampf wird auch die, sonst so sanfte anmutende,
Kampfkunst Tai Chi Chuan oft schnell und hart.
Frage 1
Ist es okay, wenn Tai Chi Chuan-Techniken relativ hart werden, wenn man sie schnell ausführt?
- Vinko
Ja, natürlich. In der Kampfanwendung müssen viele Techniken schneller und härter eingesetzt werden, als man das anfangs im Solo-Training macht.
Im Shaolin Kung Fu beginnt man üblicherweise hart und äußerlich, also von Muskelkraft gestützt. Später kommt das innere Training hinzu und man wird weicher.
Im Tai Chi Chuan ist es genau andersrum. Man beginnt weich und eher langsam. Später werden die Bewegungen schnell und hart, während sie weiterhin ihre fließende Charakteristik behalten.
Das zeigt also deinen guten Fortschritt.
Im Vergleich ist Tai Chi Chuan aber auch im fortgeschrittenen Stadium weiterhin weicher und fließender als Shaolin Kung Fu. Beide sind aber nur komplett, wenn sie sowohl harte als auch weiche Komponenten beinhalten.
In Shaolin Wahnam gilt diese übliche Aussage mit dem harten Anfang übrigens nur bedingt. Das innere Training beginnt bei uns schon ganz am Anfang. Hartes Fitness- und Abhärtungstraining kommen bei uns nicht vor, da wir gleich zu Beginn höherwertige innere Methoden verwenden.
Frage 2
Wir sorgen uns bei bewegten Übungen ja nicht um die Form.
Beim Zhan Zhuang schaust du aber penibel auf die exakte Ausführung.
Warum ist das so?
- Thomas
Bei bewegten Qi Gong-Übungen, auch „Dao Yin“, besteht die Technik aus mehreren Bewegungen. Wenn da ein Teil etwas schlampig oder ungenau ausgeführt wird, ist die Form zum Beispiel immer noch zu 50% korrekt.
Beim Zhan Zhuang, auch Standtraining oder stilles Qi Gong genannt, gibt es aber nur eine einzige Form, die Standpose. Macht man diese nicht richtig, ist die Form zu 100% falsch.
Der Qi Flow am Ende der Übungseinheit bereinigt zwar Fehler, aber es soll ja noch etwas vom guten Energiefluss übrigbleiben, damit wir stärker und klarer werden.
Dennoch gilt auch beim Standtraining, dass die Form nur den geringsten Teil zum Erfolg beiträgt. Guter Energiefluss, ruhiger Atem und die richtige geistige Einstellung sorgen zusammen für 90% des Effekts der Ausübung.
Darum sollten wir uns auch beim Zhan Zhuang nicht übermäßig um die Form sorgen. Wir nehmen die Position ein, überprüfen sie (im Kurs mache ich das, zumindest, wenn ich gröbere Fehler erkenne) und dann entspannen wir uns und lassen los.
Kleine Abweichungen sind schlussendlich auch nicht so dramatisch und je entspannter wir an die Sache rangehen, desto mehr wird uns die Energie in die optimale Haltung bringen.

Im Zhan Zhuang spielt die korrekte Ausführung
eine größere Rolle als in bewegten Übungen.
Frage 3
Wenn ich es (meiner Meinung nach) schaffe, körperlich und geistig entspannt zu sein, tritt folgendes „Gefühl“ für mich auf:
„Als ob die Hülle/die Grenzen des Körpers stehen bleiben, fast sogar wachsen würden, das Innere sinkt jedoch ab, bzw. fühlt sich leicht und kribbelig an. In diesem Moment fühlt man einen Moment der Balance und Leere, und das Stehen bleiben und das Genießen der Stille funktioniert mühelos und einfach“
Ich versuche nun dieses „Gefühl“ während meiner Praxis zu erreichen und so mühelos wie möglich zu halten.
Ist es das Ziel, dieses „Gefühl“ in das Training und das tägliche Leben zu integrieren? Ist die Fähigkeit, dieses „Gefühl“ in allen Situationen zu halten, innere Kraft…?
Hast du ein „Gefühl“ beim Training, nach dem du Ausschau hältst, von dem du weißt, dass es deine innere Kraft repräsentiert?
- Florian
Das Gefühl, das du beschreibst, klingt doch toll. „Mühelos die Stille genießen“ ist doch wunderbar!
Ich strebe jedoch beim Üben nicht nach einem gewissen Gefühl oder einer bestimmten Erfahrung. Das produziert Anhaftung und kann eventuell auch andere Erfahrungen verhindern.
Es ist wie es ist.
Nichtdestotrotz fühle ich mich nach dem Üben erfrischt, munter, klar und locker, um nur ein paar Adjektive zu nennen.
Je nachdem was ich übe, kann sich die innere Kraft auch unterschiedlich zeigen. Durch Leichtigkeit oder Schwere in den Händen, ein volles Dantian [Energiezentrum], Expansion, ein pochendes drittes Auge, Kribbeln und so weiter.
Innere Kraft „ist“ einfach Qi, das an gesammelt ist und gut fließt. Und damit kann man alles machen, wenn man es einsetzt bzw. zulässt, dass es wirken kann.
Sie ist eher der Treibstoff, damit du deine Emotionen und Gedanken positiv halten kannst.
In der Kampfkunst verhilft uns innere Kraft vor allem zu mentalem Fokus, Ausdauer und Schlagkraft.
Im Leben sorgt sie in erster Linie fürs Überleben, indem sie unsere Organe versorgt.
Frage 4
Warum verwendet man die Tigerkralle bei „Single Tiger Emerges from Cave“, wenn man eh weit genug weg ist?
- Alex
Es stimmt, dass man durch die Beinarbeit eigentlich nicht mehr in der Reichweite des Gegners ist.
Dennoch gehen wir lieber doppelt sicher und leiten den gegnerischen Arm auch ab.
Im Kung Fu bleiben wir gerne in Kontakt mit dem Gegner, weil wir dann besser kalkulieren und spüren können, was als nächstes passiert. Herumfliegende Hände sind schwieriger einzuschätzen.
Mit der Tigerkralle können wir außerdem auch gleich zugreifen und mit Chin-Na (Grifftechniken) kontern.

Bei „Single Tiger Emerges from Cave“ liegt die
Verteidigung - wie so oft - in der Beinarbeit.
Frage 5
Soll man die Augen offenhalten, wenn man die Gesichtswäsche nach dem auf-die-Augen-Klopfen durchführt? Oder kann man sie auch wieder schließen?
- Thomas
Üblicherweise bleiben die Augen nach dem langsamen Aufmachen geöffnet.
Die abschließenden Massagen dienen dem Normalisierungsprozess, sodass wir aus der Meditation wieder sanft in unser Alltagsbewusstsein zurückkehren.
Auch bei der „himmlischen Trommel“ ganz am Schluss bleiben die Augen daher geöffnet.
Es ist aber auch nicht weiter schlimm, wenn sie zwischendurch mal wieder zugehen.
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