Fragen und Antworten
Ausgabe 2019-03
Angenehme Energieempfindungen sind uns zwar willkommen,
für den Erfolg im Qi Gong aber nicht weiter wichtig.
Frage 1
Wenn sich mein drittes Auge oder andere Energiepunkte öffnen, spüre ich das meistens als Druck oder als Pulsieren. Wie kann es sich sonst noch anfühlen?
- Elena
Die Wahrnehmung von Energie wird immer sehr individuell beschrieben. Wahrscheinlich, weil wir von klein auf gewohnt sind nur unsere physischen Sinne zu verwenden und diese Empfindungen zu erläutern. Wenn wir versuchen von energetischen Wahrnehmungen zu erzählen, lassen sich diese mit Worten oft schwer beschreiben. Man bedient sich dann zumeist der üblichen Sinneswahrnehmungen wie Fühlen, Sehen und Hören.
Nichtdestotrotz gibt es einige gemeinsame Nenner, die von vielen Schülern erfahren und erzählt werden.
Wenn sich Energiepunkte oder Dantian (Energiefelder) öffnen oder sich dort Energie fokussiert, wird das häufig mit Druck, Pulsieren, Ziehen, Sog oder Ausdehnen beschrieben.
Auch Kribbeln tritt häufig auf, in den Händen, Armen oder anderen Körperstellen, ebenso wie ein Gefühl der Fülle.
Manchmal wirken unsere Hände schwer oder der ganze Körper fühlt sich fest, stabil, verwurzelt an. Ein anderes Mal fühlen wir uns ganz leicht, die Arme schweben nach oben oder liegen wie auf Wolken auf.
Temperaturempfindungen, wie wohlige Wärme oder kühlende Frische, können auftreten. Starker Energiefluss in den Meridianen wird oft als kühlend, zugig, erfrischend empfunden. Fließt das Qi noch tiefer, in die Organe oder im Nervensystem, kann das starke Hitze erzeugen.
In der Ein-Finger-Zen-Handhaltung kann durchaus ein Zug bzw. ein Spannen auftreten, wenn sich das Qi im Zeigerfinger fokussiert. Das kann sich anfänglich wie eine Verspannung anfühlen, ist aber doch ein bisschen anders. Vor allem sind Finger und Hand ja entspannt.
Schöne Beschreibungen der spontanen Schwingungen und Bewegungen im Chi Flow sind „eine sanfte Briese, die die Weiden zum Wogen bringt“ oder sich wie eine Koralle am Meeresgrund zu fühlen, die passiv von der Strömung hin und her gezogen wird.
Insgesamt ist das Wahrnehmen von Energie nicht wirklich wichtig für unseren Fortschritt. Viel wichtiger sind unsere mittel- und langfristigen Ziele, also gesund, vital, glücklich und erfolgreich ein langes Leben zu genießen. Dennoch sind wohlige Energieempfindungen ein guter Indikator und können der Motivation dienen. Treten keine besonderen Erscheinungen auf, macht das aber überhaupt nichts.
Frage 2
Warum sind Langstöcke oft konisch, also an der Spitze dünner?
- Astrid
Der zulaufende Schnitt von Stöcken hilft dabei, die innere Kraft bis in die Spitze – und darüber hinaus – zu kanalisieren. Je weniger Widerstand, desto einfacher fällt es.
Auf physischer Ebene hilft es außerdem bei der Kontrolle und Handhabung, wenn die Hebelwirkung durch das geringere Gewicht an der Spitze etwas entlastet wird.
Beim „Ho Family Flowing Water Staff“ fällt es nicht so ins „Gewicht“, da der Stock zumeist nur etwas über Körpergröße lang ist. Beim „Fifth Brother Octagonal Staff“ sollte der Stock 220-240 cm haben. Da macht sich der geringere Durchmesser durchaus bemerkbar.
Der „Fifth Brother Pakua Staff“ geht auf den 5. Bruder der
Yang-Familie zurück. Nach seiner Pensionierung aus der Armee,
trat er dem Shaolin-Tempel bei und setze sein Training mit dem
Speer fort, wobei er die Spitz abmontierte.
Frage 3
Du meintest, dass man mit der „großen Windmühle“ starke Arme entwickeln kann. Sollen wir also während dem Üben den Arm ein wenig anspannen?
- Lydia
Eine wichtige Lehre, die wir Sifus zweitem Meister zu verdanken haben, ist „If you want to have force, then don’t use strength“. Das bedeutet auf Deutsch so viel wie „wenn du innere Kraft haben möchtest, wende keine Muskelkraft an“.
Denn sobald man Muskeln anspannt, hindert das den „lebendigen“ Energiefluss und die „tote“ Kraft, die in den Muskeln gespeichert ist, setzt ein. Beim Training innerer Kraft wollen wir nicht unsere Muskeln definieren und umfangreicher machen, sondern so viel Energie wie möglich zum Fließen bringen und dann fokussieren.
Wie in jeder anderen Qi Gong-Übung ist es daher wichtig auch die „große Windmühle“ so entspannt wie möglich auszuführen, damit die Energie optimal in den Arm und die Hände fließen kann.
Der große Vorteil von innerer Kraft ist, dass sie für jegliche andere Funktion ebenfalls frei zur Verfügung steht. Das heißt, man kann nicht nur schwere Dinge mit den Armen heben, sondern hat auch jede Menge Energie für die Organversorgung, die Abwehrkräfte und Leistungssteigerung auf allen Gebieten zur Verfügung.
Frage 4
Gibt es einen Unterschied zwischen „Qi Gong-Geisteszustand“ und dem Eintritt in Zen oder das Tao?
- Thomas
Alle drei Bezeichnungen beschreiben die gleiche Geisteshaltung. Der Unterschied in der Benennung, die wir jeweils in Qi Gong, Shaolin Kung Fu und Tai Chi Chuan verwenden, liegt in der Herkunft und Geschichte der Künste.
Der Begriff „Qi Gong-Geisteszustand“ ist relativ modern. Er wurde erstmals durch den herausragenden Qi Gong-Meister Yan Xin im 20. Jahrhundert verwendet. Davor sprach man davon, in die Leere oder die Stille einzutreten.
Unser Großmeister, Wong Kiew Kit, hat die Bezeichnung „Qi Gong-Geisteszustand“ in seine Methodik übernommen, da sie so treffend klar macht, wie wichtig dieser entspannte, gedankenleere Zustand für den Erfolg der Qi Gong-Praxis ist.
Shaolin Kung Fu wurde im ersten Zen-Kloster in Shaolin geprägt. „Zen“ hat mehrere Bedeutungen. Es benennt eine wichtige Strömung des Mahayana-Buddhismus, kann das „Universum“ heißen oder auch „Meditation“.
Tai Chi Chuan entstammt dem taoistischen Wudang-Kloster, wodurch wir zu Beginn des Übens „ins Tao eintreten“ oder uns „auf den Weg machen“.
Eine westliche Entsprechung ist ein „erhöhter Bewusstseinszustand“. Durchgesetzt hat sich vor allem der Begriff „meditieren“, wobei dieser eigentlich schlecht gewählt ist. Dem Wortsinn nach, beschreibt meditieren „überlegen“ oder „konzentriert über etwas nachdenken“. Dabei sollte genau das Gegenteil der Fall sein, nämlich keine Gedanken.
Darum beschreibt der Eintritt in die Stille oder eben Zen viel treffender, was zu tun ist.
Für unsere Ausübung macht es jedenfalls keinen Unterschied, ob wir gerade Qi Gong, eine unserer Kampfkünste oder irgendeine alltägliche Tätigkeit ausüben, wir entspannen uns, lächeln aus dem Herz heraus und leeren den Geist von allen Gedanken. Dadurch können wir bei allem, was wir tun, bessere Ergebnisse erreichen.
Auch beim Shaolin Kung Fu ist unser Geist klar und fokussiert,
also in Meditation versunken bzw. in Zen.
Frage 5
Was soll man tun, wenn man gerade in einer Phase ist, in der man Altlasten auflöst, aber von den aufkommenden Gefühlen überwältigt wird?
- Timea
Ideal ist es natürlich, dies von vornherein zu vermeiden, indem man die Intensität so anpasst, dass man nur mit 30% des eigenen Potenzials übt. Also nur so kraftvoll, dass die Auswirkungen keinen negativen Effekt auf unseren Alltag und unser Leben haben.
Wenn man nun aber schon in einer heftigen Reinigungsphase steckt und die Emotionen überwältigend sind, sollte man das Übertraining abbauen. Statt sich allein daheim hineinzusteigern, ist es besser Aktivitäten im Freien zu machen und sich mit Freunden zu treffen. Durch Aktivität und Bewegung wird klingt das „Over-Cleansing“ (die drastische Reinigung) wieder ab. Wenn nötig, kann man auch die Qi Gong-Praxis in Zeit und/oder Intensität reduzieren.
Ein Gedanke, der ebenfalls hilfreich sein kann, ist sich klar zu machen, dass die auftretenden Gefühle „nicht echt“ sind, also keinen aktuellen Grund haben. Loslassen ist eines der wichtigsten Geschicke in der Qi Gong-Praxis. Wenn sich aufgestaute alte Emotionen, die wir lange Zeit festgehalten haben, beim Austritt noch ein letztes Mal zeigen, lasse sie abziehen statt ihnen noch mehr Beachtung zu schenken, sie festzuhalten und dich reinzusteigern. Lass los!
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